angehen

Das ist nicht so einfach zu beantworten, wann und warum und wodurch ich das Gefühl habe, dass mich etwas angeht, oder warum oder wodurch ich weiß und zuweilen auch merken muss, dass etwas mich überhaupt nichts angeht, auch wenn es mich anregen könnte, darüber etwas in den Ausdruck zu bringen. Allerdings habe ich in den letzten Jahren ganz klar erfahren, dass mich vor allem etwas berührt, wenn ich eine persönliche Verbindung dazu herstellen kann. So habe ich zu den Fluten erst einmal weniger Zugang, wenn ich dort keinen beklagen muss, den ich kenne, was mich nicht abhalten muss, still zu werden vor Schrecken und Mitgefühl. Aber es ist doch nochmal anders, wenn ich mit Indern über die angeschwemmten Covid-Leichen am Ganges rede und weiß nicht nur, wie es da vorher ausgesehen hat, sondern auch, was dieser Fluss für eine unersetzbare Bedeutung in ihrer Geschichte und Lebensweise hat. Etwas, was hell schien, wird schlagartig rabenschwarz. Nun starren wir also wieder einmal auf einen Leichenverbrennungsplatz der Großmächte, und selbst der dunkle Wahn von Donald Trump ist in den politischen Hintergrund getreten vor dem Grauen, das sich hier entfaltet. Wieder einmal dachten zu viele zu lang zu wenig nach, da hängen schon die sogenannten Ungläubigen an den Masten. Jeder weiß, was hier zu erwarten ist, und niemand weiß, wie es noch eingedämmt werden kann, das große seelische Gemetzel. Unsere afghanischen Freunde haben auch noch Familie dort. Leute, über die man über Erzählungen etwas gehört hat, und die keinerlei Mittel und Möglichkeiten haben, einfach zu fliehen. Und das kennen wir doch aus unserer Geschichte, dass sich eine unbekannte Zahl von Deutschen vielleicht gerne aus Deutschland herausbewegt hätte, oder nicht? Um nicht automatisch ein Spieler oder eine Spielerin zu werden im Monsterfilm. Und es ist in der Tat schwer, der Ahnung, wie schrecklich etwas bereits ist, ein Gewicht zu geben, sodass man handlungsfähig bleibt und andere nicht ins Visier der Schuldigen nehmen muss, sondern sich selbst die Klarheit einer Entscheidung zumuten kann. Und dann wird auch das nur Gerede, denn wer hätte wann genau vorausahnen müssen, wie schnell und schreckenserregend die Dinge sich entwickeln können. Bis jeder Spielraum verschwunden ist und unzählige Lebensentwürfe über Nacht in Asche liegen. Auch wenn man es nicht immer kann und muss, so braucht es doch Kraft, sich zuweilen das Leid dieser Welt zu Herzen zu nehmen, denn es ist unendlich tief und sprengt jede Vorstellungskraft. Shivani, eine indische Freundin, schickt mir eine Mail mit ihrem Mitgefühl für die afghanischen Frauen, die jetzt (wieder) unter dem Schwert der Scharia leben, wenn die Flucht eben nicht möglich ist. Als ich vor vielen Jahren, noch in Friedenszeiten, durch Afghanistan gereist bin, fand ich jetzt nicht, dass es ein Paradies für Frauen war. Einmal schaute ich bei einem Reiterspiel zu und ein Afghane hielt ein brennendes Streichholz in mein Haar, damit ich merke, dass Frauen unerwünscht waren beim Männersport. Aber vieles war trotzdem schön und wahrlich überwältigend in seiner Andersartigkeit. Wir besuchten die Gräber toter Sufi-Poeten und dachten schon damals das Ganze als ein Damals, in dem man meist etwas Verlorenes sucht, das es vielleicht so, wie man es denkt, nie gab. Und immer ist es vor allem einzelnes Schicksal, und gerne beugt man sich auch mal vor dem, was jeneseits des eigenen Verstehens liegt.

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