jenseits

Weder möchte man als schwarzmalerische Hellseherin noch als Naivling den eigenen, schöpferischen Prozessen gegenüber in die realtiv persönliche Geschichte eingehen. Relativ in Bezug auf die Tatsache, dass jeder Mensch die Zeugenschaft der eigenen Zeit übernehmen kann oder auch muss. Müssen kommt meistens erst dann, wenn es unabhängig ist von privaten Obsessionen, wenn also globale Zusammenhänge eine Situation erschaffen wie einen Krieg oder eine Pandemie, in der die Blasen, die für Freiräume gehalten wurden, in denen Rechte beansprucht werden können oder Vereinbarungen getroffen usw., diese Blasen platzen lassen und ungehemmt eingreifen in die vormals geschützten Sphären, die nun verloren gehen. Durch die Wahrnehmung des Weltgeschehens bekommt man als Einzelne/r nicht nur mit, wie man selbst die  Dramatik des lebendigen Schauspiels betrachtet, sondern muss sich auch im Urwald der Wahrnehmungen anderer zurechtfinden. Besser noch als ein Urwald erscheint vielleicht ein Labyrinth, weil man in diesem Bild zumindest einen Faden vermutet oder gar findet, an dem man sich entlangrangeln kann. Oder man traut sich zu, genau auf d i e  Lücke zu stoßen, die sich gerne tarnt als Drehtür, sodass man entscheiden muss, ob man rein oder raus will. Rein in was? Und raus aus was. Fühlt man sich nun etwa durch das stattfindende Meinungsgewirre unseres Pandemieverständnisses sich selbst gegenüber verpflichtet, eine Klarheit zu erlangen, wie man das Spiel selbst spielen möchte, kann man auch dadurch natürlich nur relative Freiheit erlangen. Denn selbst die wildesten ImpfgegnerInnen werden früher oder später die Sache bedenken müssen, oder auch nicht. Schon musste ich unterscheiden zwischen einer einst positiven Deutung des Begriffes „Querdenken“ und einer QuerdenkerInnengruppe, bei der ich allerdings eh nicht mitmarschieren würde, weil das Demonstrieren für mich keine Möglichkeit darstellt, mich wohl zu fühlen. Aber in den Jahren, die ich mit dem „Living Theatre“ gearbeitet habe, standen wir auch öfters vor bis zu 6000 Menschen im Publikum und verkündeten unsere politischen Ansichten, die oft genug jenseits aller nachvollziehbaren Logik waren (z.B. das Verbrennen von Geld oder oder die Aufforderung, ohne Pass zu reisen) und  gerade deshalb regte es zu allerhand neuen Sichtweisen an. Für einen kurzen Moment in der Zeit schien wieder absolut alles möglich zu sein, da die freie Entscheidungskraft des Menschen einleuchtete. So brauchte man einfach nicht in den Krieg gehen, dann würde es keinen geben. Das hat diesen Schuss naiver Intelligenz, die in bestimmten Momenten auch bahnbrechend wirken kann, meist durch ein überzeugendes Staubkörnchen Wahrheit im Gepäck. Eine Flamme, die immer wieder mal entzündet wird und sagt, dass es auch ganz anders laufen könnte, als man denkt. Kann es ? Manchmal glaubt man, das ganze menschliche Verhalten sei ein Stückchen vorangekommen, bevor man rüde belehrt wird. Beuys korrigierte einmal in einer Gesprächsrunde jemanden, der eine ihm unpassend erscheinende  Bemerkung über seine Szene mit dem Hasen machte, dem er in einer Performance die Kunst erklärt. Beuys machte klar, wie dieser Hase der direkte Ausdruck seines Lebens war in dem Sinne, dass nur durch die Weise, wie er sein Leben gestaltet hatte, der Hase erscheinen konnte. Ihm ging es um etwas sehr Direktes, wobei man dann natürlich schmerzhaft bemerken darf, dass auch das nicht ganz blasenfrei war. Oder doch? War es ihm gelungen durch all das vorher nie Dagewesene und selten Vorgefundene, nein, nie zuvor Vorgefundene, nämlich Beuys und sein offensichtlich gelungener Durchbruch zu den Menschen hin, denen er sehr viel zumutete. Und man kann ja nicht leugnen, dass er einen ordentlichen Schuss Unsterblichkeit gebunkert hat, der tote Mann, dem es gelungen ist, bis heute unverstanden zu bleiben, obwohl er sich so bemüht hat.

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