lindern

Gut, man kann auch ohne Dauerregen nicht wirklich etwas festhalten. Oder man kann es und macht es auch, um sich zum Beispiel daran zu erinnern, dass eigentlich Sommer ist, zwischendurch ist  er ja auch ganz kurz mal da. Man steht dann und staunt hinein in diese Pracht, wo die Kirschblüten in die Magnolienblüten übergehen und die Apfelblüten im Garten alles überstrahlen mit ihrem Licht. Und ja, das Ohr lauscht hin zum emsigen Gebrumme eines einzigen Tieres, das vermutlich für das Erscheinen unserer Äpfel verantwortlich sein wird. Klar ist auch geworden, dass es ein uneingeschränktes Wohlbefinden nur in vorüberziehenden Momenten gibt. Die können sich allerdings zuweilen in Stunden hinausdehnen und werden dann von uns als eine Art Glück empfunden: ein gutes Gespräch, eine tiefe Vertrautheit, ein geteilter, angstloser Raum. Denn auch das gelungene Alleinsein muss ja umkränzt sein von guten Beziehungen, die diese reichhaltige Einsamkeit erst zur Geltung bringen, bzw. ermöglichen. Und so, wie hinter jedem Witz der Tod lauert, so lauert auch hinter den Blüten noch all das andere, das begleitend mitwirkt. Da bin ich jedoch nicht ausgeliefert, sondern habe Entscheidungs-Spielraum. Wie wohltuend ist es doch in der Tat für die Augen, so viel Schönes und Frisches und Grünes aufzunehmen, und man muss sie wandern lassen über all dieses aus sich selbst Hervorgeströmte, damit man den Reichtum und die Schönheit der Welt nicht vergisst. So vertieft sich das Wesen dieser Erfahrungen, und dann, wenn es Zeit ist, (z.B.) auf Indien zu schauen, braucht es Kraft, will man auch dort nicht nur hängenbleiben an den moderierten Berichterstattungen. Es ist mühsam, für sich selbst eine akzeptable Ausgleichung zu finden, die einem lebendige Bewegung erlaubt auf der Skala der Möglichkeiten. Heute früh kurz vor den 3 Minuten Nachrichten, die mich beim Schminken informieren, höre ich eine Pristerin kundtun, dass heute der Internationale Tag gegen Homo-,Bi-,Inter- und Transphobie ist. (Das musste ich mir auch von Lord Google nochmal buchstabieren lassen). Die Priesterin war froh, dass sie in einer Zeit lebt, in der sie nicht verbrannt, verstoßen, oder ins Gefängnis verbannt wird für ihre natürlichen Neigungen, sondern als Frau in einer Kirche predigt und mit einer Frau verheiratet ist. Die Beurteilung der Homosexualität als Krankheit, erzählt sie, ist erst vor ein paar Jahren von der WHO aufgehoben worden. Sie ist also nicht krank, sondern kerngesund und geht davon aus, dass Gott gegen Liebe nichts haben könne, außerdem habe er sie bei der Taufe schon akzeptiert. Und obwohl ich persönlich nicht für so intensives Diskussions-Gendern bin, muss man all den KämpferInnen dankbar sein, dass sie daran geackert haben, den Irrsinn der Welt, oder muss man hier  ‚den Irrsinn der Menschen‘ sagen, etwas zu lindern.  Was das Gendern betrifft, so soll ein Mensch irgendwo vorgeschlagen haben, dass man, um die Gefahren der Empfindsamkeiten zu umrudern, einfach auf jegliche Frage mit ‚divers‘ antworten sollte. Das gefällt mir, dass man zum Beispiel auf die leidige Frage, wie es einem denn so geht, mit ‚divers‘ eine neue Nuance hätte, die der jeweiligen Realität vermutlich mehr entspricht als vieles andere. Mir geht es auch gerade divers, da ich entschlossen war, mich heute auf Blüten auszurichten und eben nicht die tausend angeschwemmten Leichen am Ganges zu erwähnen, die , wie sich nun herausstellte, so viele wurden, weil im Hintergrund die totale Ausbeutung im Gange ist, das Holz und die Riten sind für die meisten nicht mehr bezahlbar. Und bei dem Wort ‚lindern‘, ein schönes Blütenwort, ist mir eine Zeile von Pablo Neruda eingefallen, die ich in dem Buch ‚Journal‘ von Carolin Emke gefunden habe, und dieser Satz (m.E.) leisten kann, was nur Poesie vermag: sie kann trösten und lindern und gibt, im besten Fall, genug Raum, damit man das, was man erfühlt hat davon, in einen eigenen, höchstpersönlichen Kontext bringen kann. Poesie ist immer gut, wenn sie auch aktuell sein kann. Von allen Jahrhunderten her haben wir dafür Beweise erhalten. Hier also die Zeile:

 

Die Erde lebt leiser nun,
gelinder ist ihr Verhör,
ausgebreitet das Fell ihres Schweigens.

 

 

 

 


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