wandeln

   

Auf einem Flohmarkt in der Nähe unseres Hauses, wo wir uns gestern durchschlendernd vorfanden, der alte Zauber nahezu ungebrochen, tausend Jahre Marché de Puces, nun so ziemlich ohne Flöhe, erholte sich zumindest mein Auge etwas  von der latenten Anödnis, die mich in Straßen mit Läden ergeifen kann. Denn hier streift es zumindest eine Weile gerne über Unbekanntes und vielleicht noch Überraschendes und zu Entdeckendes, und gerne gibt man ein paar Groschen aus für ein Irgendwas. Dort erstand ich bei einer Frau für zwei Euro drei zusammengetackerte Illustrierte aus dem Jahre 1955 in einer Aufmachung, die gleichzeitig eine Vertrautheit und eine Verblüffung in mir auslöste. Offensichtlich erwartete ich, in vollem Vetrauen in mein Unbewusstes, beim Durchblättern der Magazine die Beleuchtung einer Zeit, die s o entschwunden schien, dass ich  an den Fingern die Jahre abzählte, na ja, immerhin über sechzig Jahre, das kann man als sehr lang und sehr kurz empfinden, immer sehr relativ, diese scheinbare Zeit. Ich hatte schon an einem anderen Stand einen kleinen Kaufladen gesehen, in dem vergilbte Minipakete herumlagen aus derselben Zeit wie die Illustrierten, mit allem, was eine kleine Frau so braucht, Ata, Vim, Persil. Das tauchte dann in vergrößerter Form in den Heften wieder auf. Vor allem die Frauen sahen vollkommen anders aus als heute. Viele Hauskleider wurden ihr vorgestellt, bei denen sie auch Wespentaille tragen konnte und damit bequem für die tödliche Einrichtung sorgen. Der Busen unter den vielen Blumendesigns war hohgehievt und sehr spitz nach vorne ausgerichtet. Michele Morgan, die kaum einer mehr kennt, starrte tragisch umwittert ins Sepia-Nichts. Zigaretten wurden angehimmelt, als wäre es sündhaft und unelegant für den Mann, ohne sie zu leben. Völlig zeitgemäß hingegen schien die Seite mit den weißen Gewändern für „den schönsten Tag im Leben“, der ja wieder mächtig en vogue ist. Die Herren, die sich das alles meistens ausdenken, was die Frau trägt, sind ja oft unterhaltsam, kreativ und schwul, könnten sich heute von diesen ausufernden Hochzeitsschöpfungen noch eine Scheibe abschneiden. Man denkt doch, die Menschen sehen immer ein bisschen ähnlich aus, aber nein, tun sie nicht. Man bekommt ja gar nicht so richtig mit, wie ungeuerlich märtyrerhaft viele Frauen sich den Geboten der männlichen Ordnungen unterwerfen, wobei sich natürlich auch Männer in ihre eigenen, ungeschriebenen Gesetze einordnen. Das kann eine locker heruntergelassene Hose sein, bei der man noch den Ansatz der Pospalte sehen muss, oder die neuen Jeans mit den zerrissenen Löchern. Sicher ist, dass, wer sich nicht selbst bestimmt, automatisch einem hohen Grad an Fremdbestimmung ausgeliefert ist. Wie – du hast noch keinen Bac Stift für die garantierte Körperfrische, oder hast noch nicht die schönen Hände mit dem Cutex Nagellack ausgestattet. Auch ein kleines Gedicht ist drin im Heft, es ist ein Zöpfchen-Song für eine kecke Frau, die die Naive spielt. Und so sehr die Formen sich verändert haben, so sehr spürt man noch dieselben Vorgänge in den neu gestylten Kostümen von Mensch und Ding. Gut, das Rauchen ist eine Heldentat geworden, weil tödlich, die genussvolle Freiheit also sehr eingeschränkt durch die grässlichen Bilder, die vielleicht mehr Krebs erzeugen, wobei die Tabakindustrie merkt, dass sie trotzdem gut weiterblühen kann. Alles muss nur gut verkauft werden. Jetzt geht es in diesem Land so vielen so gut, dass ein gemeinsam erschaffenes Kranksein am Zuviel als Botschaft eines neuen Gesund willkommen geheißen wird. Oder ist es der Automatismus des universellen Vorgangs, der die Menschenkinder spielen lässt, bis es kein gutes Spiel mehr ist, nein!, wenn du das letzte Modell deines Smartphones nicht erwirbst, bist du ausgeschaltet aus der Kompatibilität. Selbst schuld, denn du warst doch dabei, als man dir sagte, dass die anspruchsvolle Dame Trajana trägt. Überhaupt: die Farbe des Jahres! Wie, du weißt es noch nicht? Wie man ordentlich abmagert und so wird, wie man sein sollte. Und aus allen Winkeln des Seins kommt auch s i e wieder hervor, die unzerstörbar zeitlose Frage; Wie ist man denn wirklich. Und gibt es sie, die glaubwürdige Seinswirklichkeit. und welcher Weg führt zu diesem verborgenen Ort, der schon immer da war?

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