verdauen

Auf Hindi gibt es einen Gruß, der wie „wie geht’s dir?“ klingt und auch so gemeint ist, wobei die Nachfrage um die Verdauuung geht. Beides ist meist nicht wirklich ernst gemeint, weshalb wir uns alle angewöhnt haben „gut“ zu sagen. Die ernsthaften Antworten müssten ja auch etwas Zeit in Anspruch nehmen, und wer hat schon tiefes Interesse an der Verdauung der Anderen, wo man selbst erhöhte Aufmerksamkeit auf die Beantwortung der Frage lenken müsste, um die eigene zu kennen. Körperlich kommt man da ja in strenge Gefilde, weil heutzutage kaum jemand den Informationen ausweichen kann, die sich mit dem befassen, was für den komplexen Mechanismus des Körpers geeignet ist und was nicht. Gleichzeitig werden auf allen Ebenen und Kanälen die Süchte geschürt, und vielleicht verbucht der Veganismus zur Zeit auch deshalb so einen glänzenden Erfolg, weil er die Ausrichtung auf eine immense Vielfalt einfacher macht. Und der Wunsch natürlich nach geordneten Verhältnissen inmitten des fraglosen Chaos, mühsam gebündelt durch das illusionsbeladene Gespinst demokratischer Vorstellungen, die von PolitikerInnen ausgehandelt werden. Noch komplexer, bzw genauso komplex ist es mit der geistigen Verdauung, auch einen Gruß wert: wie geht’s denn heute der Verdauung im Kopf? Da ich Zeugin war beim Eintrudeln der Fernseher in den  indischen Familien, kann ich auch bezeugen, wie zutiefst erschütternd die Wirkung davon war. Auch heute erstaunt mich noch, dass es für jeden Menschen als selbstverständlich gesehen wird, einen Fernseher als Grundausrüstung zu haben. Nicht dass sie, die Flatscreen, in unserem Haushalt fehlt, nein, sie steht im Gästezimmer und man muss sich entscheiden, ob man dort hinwill, wo die vielen Sender leichter zugänglich sind als an den einzelnen Apparaten, bei denen man immerhin selber entscheiden und wählen muss, was man sich hereinzieht in die innere Domäne. Auch wenn man ein/e Liebhaber/in von guten Filmen ist, wird man nicht gerade verwöhnt auf Knopfdruck. Neulich in Indien blieb ich mal mit der Tochter meines dortigen Hausbesitzers an einem millionenschweren Historien-Streifen hängen, der in der Zeitung einigen Tumult ausgelöst hatte wegen angeblich geschichtlich nicht präziser Wiedergabe . Es war schwer, sich von diesem hirnverbrannten Prunk zu lösen, von dem ganzen Aufwand um einen tyrannischen Egomanen, der unbedingt die schöne Rajputenfrau wollte, am Schluss aber dann doch nicht bekam. Gut, was soll’s und was geht’s mich an. Noch nachts donnerten und tosten die Bilder durch meine Innenwelt, ich bedauerte kurz, aufgestanden zu sein in Schinkenmitte und nun nicht zu wissen, wie es ausgeht. Obwohl ich die Story schon vor Ort gehört hatte, wo sie einst wohnte, die Allerschönste der Schönen, und dort konnte man auch an den Wänden die roten Handabdrücke sehen, die einem erzählen, dass hier Frauen durch Selbstverbrennung dem Wüstling entkommen sind. Wenn man mit Anderen über diese Eindrücke sprechen kann, kommt man auch darauf, was man selbst erlebt hat. Oder man hat nur abgehängt. Oder dachte auch mal wieder, dass so Entspannung entstehen kann, und kann es ja auch, wenn es nicht für alle von allem ständig Nachschub gäbe. Wie kann ein Gehirn bei aller hohen Kapazität noch wissen oder erfassen, was es selbst denkt, wenn es für die geistige Verdauung kaum Pausen gibt.  Wenn ständig Ungefiltertes dazukommt, das einen letztendlich gar nichts mehr angehen kann, weil gar keine Synapsen mehr zur Verfügung stehen für eigenes Denken und Wahrnehmen bei all dem Input. Den Verdauungsstörungen. Der selbst erschaffenen und günstigerweise mühelos gewordenen Ordnung des eigenen Kenprogramms, an dem ich mich ausrichten kann. Der an Gewohnheiten und dem Vorgegebenen gebundene Zeitvertreib war sicherlich schon immer etwas, was sich nicht so gut auswirkte auf die Psyche. Um der Zeitvertreibsseuche kreativ entgegen zu wirken, braucht man ein Instrument, eine Rückgratsstärkung, oder einen guten Lehrer (Mögen sie weiterhin gedeihen und nicht zu viel Unheil anrichten in den von fremdem Wissen Gebannten.). Ansonsten sind wirksame Mittel bekannt sowohl gegen die Zerstreutheit als auch gegen den Workaholismus, denn in der Tat: die Stunden vergehen schneller als man gewiillt ist, die Flüchtigkeit des kostbaren Daseins zu begreifen.

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