sturzbetroffen

Als ich mich vor vielen Jahren entschlossen hatte, mich auf eine ernsthafte Meditations-Ausbildung einzulassen, oder vielleicht sollte ich lieber sagen: als ich mich entschlossen hatte, mich ernsthaft auf eine meditative Praxis einzulassen, da war klar, dass es in Indien meist mit „Brahmacharya“, also dem Zölibat, verbunden war und ist. Es machte keinerlei Eindruck auf mich, da ich mich zwei Jahre vorher aus schwer beschreibbaren Gründen von einem sehr geschätzten Menschen verabschiedet und getrennt  hatte und der Ansicht war, daraus einen günstigen Moment zu erschaffen, um die doch oft sehr komplexen Auswirkungen intensiver körperlicher Nähe in eine geistige Entspannung zu führen. In allen Religionen, wo unter anderem diese Art von Enthaltsamkeit gepriesen oder gepredigt wird, hält man das glaubwürdige Aufrechterhalten der enthaltsamen Disziplin für eine Meisterleistung. Einmal war ich in einer Versammlung von sehr vielen Meditierenden und fand es schlicht und einfach angenehm, davon ausgehen zu können, dass  Blicke nicht missverstanden werden konnten, da die Vereinbarungen klar waren. Da fällt mir der Satz aus der Gita ein,  dass (nur) das Entsagen wunscherzeugter Taten von den Weisen Entsagen genannt wird. Nun können in solchen Räumen, wo etwas quasi verboten wird oder gänzlich unvereinbar gesehen wird mit den Disziplinen, viele Wünsche erzeugt werden, sodass man schon staunen kann, dass aus allen Ecken und Enden die Skandale qualvoll hervorquellen, so, wie sie zu allen Zeiten hervorgequollen sind. Der Begriff „Freiheit“ ist wohl einer der Begriffe, die am tiefsten verstanden werden müssen. Er hat zwar ziemlich wenig mit Moralvorstellungen zu tun, vor allem nicht als auferlegter Würgegriff, aber er hat sehr viel mit adäquaten Entscheidungen zu tun, die meiner persönlichen Vorstellung von Reifung entsprechen. Ich war jetzt nicht sonderlich geschockt, als die düsteren Details von Sogyal Rinpoches Leben ans Tageslicht kamen, denn ich hatte ihn in Delhi im Rigpa Center erlebt, wo ein alter Freund von mir irgendwann zu seiner rechten Hand mutiert war. Da Mauro schwul ist und seinen Geliebten mit Wissen von Rinpoche in den buddhistischen Betrieb eingeschleust hatte, war es eher für mich einer der positiven Züge seines  Lehrers, damals nicht ahnend, zu was (d)er wirklich in der Lage war. Jetzt (lese ich in der Zeitung) befragten Schüler und Schülerinnen eines buddhistischen Mönches den lehrenden Meister, wie er zu seinem jahrelangen Missbrauch von Anvertrauten stehen würde, und er fand viele nicht einleuchtende Klugheiten, die man manchmal in diesen Kreisen gerne „crazy wisdom“ nennt, das gilt natürlich nur für den Lehrer. Manchmal kommen einem so Erinnerungen und Nachgedanken aus der eigenen Lehrzeit. Das Gemunkle ging immer um Sex oder nicht Sex, und viele Yoga-Lernende aus dem Westen waren der Meinung, dass das Thema etwas dürftig behandelt wurde, während wir Westler lange Zeit als d i e gehandelt wurden, vor denen man besser den Blick senkt, weil wir angeblich nichts anderes im Kopf haben. Nun sind vielleicht einige Mönchsköpfe dran, das kann nicht schaden. Es ist ja nicht der Sex, den man ihnen nicht gönnt, sondern der Missbrauch unter religiösen Vorzeichen, der hier ans Licht muss. Man sagt dann oft von den Schülern, dass sie bedröppelt sind und noch ganz benommen von der vielen Achtung dem gerade noch Ehrenwerten gegenüber, aber auch Yoga ist keine Garantie für Klarsicht. Das kommt mir gerade vor wie so ein Nebenzweig der Me too (Die auch) Debatte, die aus verständlichen Gründen am Abebben ist, denn auch hier beginnen sich bei aller Wichtigkeit des Themas die Ungereimtheiten zu häufen, wie könnte es anders sein. Immerhin war und ist Nach -und Selbstdenken für alle möglich. Dann kommen diese Nachwehen wie die Geheimnisse um Stefan George samt Nachfolger mit den erlesenen Jünglingstruppen, oder die weiterhin dunklen Machenschaften im Vatikan, die auch durch Forschungen von Journalisten nicht heller werden. Um das Hellsein muss man sich wohl selbst kümmern. Um das Verborgene. Um das Verlogene. Um den Umgang mit einer Freiheit, die nicht automatisch aus Anderen Sklaven macht, deren Menschsein man für eigene Zwecke nutzen kann. Um die Sturzbetroffenheit, die einen im Angesicht der Fakten ergreifen kann.

Das Wort „sturzbetroffen“ ist leider nicht von mir, sondern ich habe es mal aus der „Zeit“ herausgeschnitten, weil es den notwendigen Schluck Humor in der Tiefe der Betroffenheit zulässt. Dann habe ich noch diesen kleinen Fetzen Papier bei mir gesehen, den ich neulich auf meinem Weg aufgelesen habe….

 


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