geschichtlich

Wenn ich in Indien lebe, vergesse ich aus nachvollziehbarem Grund heraus meistens, dass alle Hindus, mit denen ich in Kontakt komme, wie selbstverständlich daran glauben, ja, es ganz sicher zu glauben wissen, dass sie in einer unendlichen Kette von Verkörperungen unterwegs sind, eben kreisläufig durch die vier beschriebenen Zeitalter hindurch. Da hört dann auch unter ihnen die gemeinsame Vorstellung schon auf, zum Beispiel darüber, wie lange das dauert, und auf welche Weise eine Wiederholung ins Unendliche hinein stattfindet.  Und ob man den Kreislauf jemals verlassen kann, wie es zum Beispiel der Buddha bzw der Buddhismus vorschlägt auf vielfältigste Weise, denn alles hegt ja die Tendenz, immer mehr zu werden, bis oft der Ursprung der Geschehnisse nicht mehr erkennbar ist. Aber was Indien betrifft, so ist diese Einstellung, ewig da zu sein, sicherlich auch ein Grund, warum die Verbindung zum eigenen Schicksal entspannter ist. Es hängt natürlich bei jedem Menschen davon ab, wie er sein tägliches Leben gestaltet, wenn Interesse besteht, sich selbst in irgendeiner Form zu manifestieren. Manifestiert wird eh, bewusst oder unbewusst. Im westlichen Denken hat man also diese paar Jährchen zur Verfügung, das ist schon etwas enger gefasst, und es gehört zu diesem Denken auch eine gewisse Angst, dass einem die Zeit davon läuft, bevor man das, was man sich vorstellte, entweder noch tun kann oder aus Zeitnot lassen muss. Dadurch entsteht natürlich auch eine Dringlichkeit und Tiefe, die andere Zugänge zur selben Quelle ermöglichen. Ich liebe beides, die geistige Weite des indischen Raumes, die sich allerdings zur Zeit mit rasender Geschwindigkeit in die Enge des digitalen Abgrundes hineinbewegt, und die  gedankliche Dichte des westlichen Raumes, in dem das gute Denken allerdings seinerseits nach Luft schnappt, um einen offenen Raum zum Atmen zu finden, was durchaus auch wie ein Abgrund wirken kann. Auffallend ist, dass alles, was dort fehlt, hier vorhanden ist, und umgekehrt. Das könnte man auch eine kosmische Ausgleichung nennen, nämlich, dass wir von der erarbeiteten Essenz der anderen Seite oder Kultur genährt werden können, wenn  wir sie in ihrer ganzen Eigenheit achten und bereit sind, davon zu lernen, da nur die Aufhebung der eigenen Grenzen den weiteren Blick ermöglicht. Überall boomt das Interesse an Geschichten: wer war es, wie war es, und dann letztendlich: wie ist es bei uns, und dann: wie ist es bei mir. In welcher Geschichte sitze ich noch drin, die mich zeitweise bestimmt, sodass ich mich darum kümmern muss, die Verbindung damit herzustellen und mich mit der Lampe in die Korridore zu begeben. So viele Türen, so viel Staub. Nicht alles muss bearbeitet werden, manches Bearbeitete kann auch herausgenommen und entfernt werden. Wohin? Man kann auch innen schreddern, wenn etwas ganz klar überfällig ist dafür. Das sind gravierende Entscheidungen, die ich in meiner Geschichte bewältigen muss. Deswegen ist der Zustand und sind die Einstellungen so wichtig, mit denen man an die Arbeit geht, denn sie sind es, die hervorbringen werden, was man in die Wege geleitet hat. Und deswegen erscheint es dann doch so essentiell, über den eingeschlagenen Weg nachzudenken, denn ob nochmal verkörpert oder nicht, spielt hier nicht wirklich eine Rolle, denn auf jeden Fall wird man „dort“ nicht sein, wer man jetzt ist. Und daher sind fast alle Klagen, die wir haben, an uns selbst gerichtet und entspringen unserem eigenen Schicksal. Denn in der Welt sieht man ja immer nur, was aus dem jeweiligen Potential gemacht wurde von all den Einzelnen, die geboren wurden.

 


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