verständigen

Wenn man Zeit oder gewisse Anlagen dafür hat, ab und an mal nachzufragen, ob man entweder selbst verstanden hat, was das jeweilige Gegenüber verlauten ließ, oder sicher gehen möchte, vom Gegenüber verstanden zu werden, kann man seine blauen Wunder erleben. Was ist ein blaues Wunder? Das kann eine himmlische Illusion sein, zum Beispiel die Illusion des Verstehens, oder aber ein Schlag in die geistige Magengrube, wenn man erkennen darf, wie gering die Verlässlichkeit dessen ist, was Ohren so im Allgemeinen aufnehmen, was ihnen als sinnvoll vorkommendes Material erscheint. Das ist ja eigentlich schon (zu) viel verlangt, dass das Gehörte auf „Sinnmachendes“ überprüft wird. In Indien hatte ich eine Zeitlang die Angewohnheit, die Hindi Lautsprecher Ansagen, in den Bahnhöfen auf Deutsch zu hören, oder auf Englisch usw. Das heißt, man konzentriert sich auf eine andere Sprache als die gehörte, und hört bewusst auf das, was es auf keinen Fall sein kann. Als ich einmal unbedingt das 10-tägige Vipassana-Meditation-und Schweigeretreat mitmachen wollte und dafür nach Jaipur fuhr, hatte ich eine furchterregende Erfahrung mit einem Vogel, vermutlich eine Taube, aus deren gurrenden Lauten ich jedes Mal, wenn ein innerer Zwang mich hinhören ließ, einen anderen, sehr wohl verständlichen Satz vernahm („was machst du hier“, „sei doch nicht so“), der auch nicht sein konnte, bzw nur von mir sein konnte, ohne das Gurren aber nicht ausgelöst wurde. Während vorne die MeditationsleiterInnen ab und zu einnickten, kämpfte ich mit dem Wahnsinn des Verstehens, das über eine Vogelstimme transportiert wurde. Irgendwann konnte ich mich losreißen. Die Frage, von was ich mich losreißen musste, tauchte viel später in einem neuen Kostüm und anderem Kontext wieder auf. Da es unendlich viele Zugänge zum Weltgeschehen gibt, kommt es auch ständig auf den Blickwinkel an, von dem aus ich die Dinge betrachte. Kann ich überhaupt von Anderen verstanden werden, oder wo setze ich die notwendigen Mühen ein, um sicher zu sein, dass ich einerseits versuche, so verständlich wie möglich zu sein, und andrerseits ernsthaft interessiert bin, mich auch auf das mir nicht Vertraute so weit einlassen zu können, wie es eben jeweils möglich ist. Ich persönlich finde gerade zur Zeit  die geheimnisvollen Vorgänge der Kommunikation zwischen Menschen wieder hochaktuell, da die bereits etwas verdunkelte Begeisterung über die Macht der Smartphone-Substanz nicht mehr rückkgängig gemacht werden kann. Man ist also schon in der Wahrnehmung der Folgen. Immer mehr Heilanstalten für Suchtkranke werden entstehen, dazwischen ab und zu ein digitales Juwel von einem Super Nerd genießen. Überhaupt ist die sogenannte Masse, also wir, wenn sie ergriffen ist von einer unleugbaren Verführung, nicht mehr zu bremsen. Als Leopold von Sacher-Masoch noch verhältnismäßig allein war mit seinen ausgefeilten Ekstasen, konnte er nicht ahnen, wie auch ich nicht, dass ich eines Tages meinen netten Milchverkäufer im indischen Dorf um zehn Uhr früh aus einem Porno locken musste, um zum simplen Wunschobjekt zu gelangen. Was ist schon simpel. Obwohl erstaunlich vieles auch verständlich ist, wenn man dranbleibt und nicht vergisst, was man selbst als das Wesentliche betrachtet, und wo das Sich-Kümmern auch eine gewisse Freude mit sich bringt. Als ich gehört habe, dass junge Leute, die die Fahrprüfung machen, immer länger brauchen, bis man sie loslassen kann in den Verkehr, und zwar, weil durch das viele Schauen auf Smartphones (Computer, iPads usw) die direkte Wahrnehmung ihrer Umgebung nicht mehr gewährleistet ist, dachte ich: Wow! Manchmal schadet es nicht, sich vorzustellen, in was für eine Welt wir gemeinsam hineinwandern, wo d a s für Kommunikation gehalten wird, was grundsätzlich ohne direkten Kontakt auskommt. Auch wenn man Reinkarnation noch ernsthaft bedenken würde, müsste man in der Lage sein, sich als futuristischer Avatar zu konzipieren. Auch das ist schon ein alter Hut, obwohl gerade zum ersten Mal von mir gedacht. Dann kann ich mich geistig immer noch mit den Matrix-Entschleierinnen verbinden. Ja, wat et nich allet jibt.

Das Bild zeigt eine Matrix-Entschleierin bei der Arbeit.


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