entschließen

Man merkt oft gar nicht, an wie vielen Entscheidungen man trotz aller errungenen Frei-Räume innerlich und äußerlich beteiligt ist. In der ersten Hälfte meines bisher gelebten Lebens kam ich mir eindeutig vor wie ein Nacht-Mensch. Wenn die meisten Menschen schlafen, vertieft sich die Ruhe. Man bildet im Lauf der Zeit viele Dinge in sich hinein, die man auch wieder herausbilden kann. Für mein System fand ich übrigens die Meditationsausbildung ganz förderlich für eine Weile. Auf einmal drehte sich die Nacht in den Morgen. Was für eine wunderbare Entdeckung, die Stille des frühen Morgens kennen zu lernen, wenn auch da noch die meisten Menschen schlafen und man unbegrenzte Zeit-Räume zur Verfügung hat. Es erscheint mir auch als ein weiteres Paradox des weltlichen Aufenthalts, dass man so bemüht ist und auch sein muss, für sich selbst Entscheidungen zu treffen, die eventuell zu Identitätsformen führen, von denen man annimmt, dass man das ist. Ist man das? Zu einem gewissen Grad schon, denn es sind Facetten, die man sich gebildet hat, um zu sehen, aus welchem Stoff man gemacht ist, und welche Muster sich darin befinden. Sieht ja auch so aus, dass, kennt man die Muster nicht, man auch die Qualität des Gewebes nicht einschätzen kann. Habe ich dann mein Identitätszeug einigermaßen beieinander, betritt man das nächste Erschütterungsfeld: die Anderen. Also, dass die Anderen die Hölle sind (Sartre), habe ich nun nicht feststellen können, aber die erlebten Dramen können schon einen Hauch von höllischem Charakter haben, wenn man sieht, wie die Verblendungen über sich selbst und die anderen flöten gehen. Die einen wollen mal auf die Pauke hauen, andere die erste Geige oder Alphatier spielen, auf jeden Fall geht es lang genug um die Kunst, Fäden zu ziehen und zu weben, damit man die eigene Webweise bildlich erfassen kann.  Die Kunst, dem Menschen zu entsprechen, den ich mir unter mir vorstelle, wird sicherlich weitgehend unterschätzt. Da wir unseren eigenen Augen nicht uneingeschränkt trauen dürfen, sind wir auf Augen und Ohren der Anderen angewiesen. In den paar Jahren, die ich in einem kleinen Tempel in Indien verbrachte und für die Bewegungen und die Atmosphäre darin verantwortlich war, hatte ich immer den Eindruck, dass vor allem meine Handlungen beobachtet wurden. Kann sie das Feuer richtig entfachen, legt sie das Holz sachgerecht auf, ist ihre Asche fein genug, ist es ihr gelungen, genug Tee und Milch und Zucker zu organisieren, damit sie Chai servieren kann, und wahrscheinlich auch einige Fragezeichen, weil ich außer Bleichgesicht und Frau auch noch geschminkt war und der Boss der Bruderschaft mir verkündete, eine Frau auf diesem Pfad werde nur darauf getestet, ob sie keine Verführungstechnik ausstrahlt oder anwendet. Den Stolz, dass mir das gelungen ist, konnte ich mir zum Glück ersparen. Mein Wunsch und Wille, mich dort als mich selbst durchzusetzen, führte letztendlich in einer kritischen Situation dazu, dass das ganze naheliegende Dorf hinter mir stand und eine wichtige Entscheidung zu meinen Gunsten fällte. Dort wurde mir auch mal geraten, dem herumlungernden Polizisten Bakschisch zu zahlen, aber ich habe mich dagegen entschieden und wurde dann von einem Mönch belehrt, wie man mit Polizisten umgeht, damit sie einen nicht behelligen. Manchmal, wenn ich zurückschaue, kann ich auch erschrecken über die, die ich in meinem Leben schon war und mit welcher Entschlossenheit ich manche Entscheidungen getroffen habe, vor denen ich heute schaudern würde. Vielen von uns kam es damals so vor, als hätten wir auf einmal die Flügel der freien Wahl und könnten über Tod und Leben entscheiden. Zum Glück sind die Tage auch lang, und die Nächte so wirkungsvoll in ihrer schenkenden Ruhe. Noch Zeit, neue Weichen zu stellen und gute, adäquate Entscheidungen zu treffen.


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