me/mai/mäh

Das Photo mit dem „ME“  habe ich in Lalis Haus gemacht, während sie mit Teemachen beschäftigt war. Dann habe ich es gezeigt und sie und ihre Töchter gefragt, ob sie wissen, wo das ist. Nein, keine Ahnung, und dann viel Lachen, weil es auf ihrem eigenen Fußboden stand und ein Überbleibsel war vom Diwali-Fest, denn  ursprünglich stand da „Welcome“, also das „me“ war übriggeblieben. „Me, nur anders ausgesprochen, heißt auch „Ich“ in Hindi und klingt eher wie ein mäh, sodass es auch oft so gemeckert wird wie bei einer Ziege. Das zeigt, dass es im Sprachgbrauch immer noch kein so hohes Ansehen hat wie das „ham“, das „Wir“. Das dürfte sich in den letzten Jahren gründlich verändert haben, denn der Ich-Wahn blüht mit Bollywood und digitalen Riesenschritten ungehemmt vor sich hin. Keiner kann auch nur ahnen, was diese Überflutungen in Gehirnen anrichten, die gerade von einer geistigen Hängematte bzw kollektiven Traumschaukel des gemeinsamen Seins fast über Nacht in die einsamen digitalen Korridore der Fremdwelten vorgestossen sind und dort das wahrhaft unheimlich Lebendige künstlicher Schöpfungen in sich hineinwirken lassen. Neulich sass ich mal neben Lalis Mutter (so 82, vermuten wir) und der Servant bat mich, sein Smartphone kurz zu halten, und da schaute ich mit ihr hinein und wir sahen dort einen chinesischen Zirkus mit atemberaubender Akrobatik. Es fällt einem ja nur auf, wenn man einen Sinn für das Paradoxe bzw Abenteuerliche des Menschseins hat. Heute früh auf dem Weg zu Krishna, um mein Brot abzuholen, habe ich wieder Männer mit großen Tüten gesehen, die Ameisen gefüttert haben am (Leichen) Verbrennungsplatz. Dort habe ich auch zu meiner Überraschu7ng den nur Asche tragenden Naga-Baba in einer Ecke entdeckt, wie er eine ganze Hundefamilie verköstigt hat. Die Kinder in dieser Gegend nerven mich jedesmal beim Vorbeikommen mit ja wann genau denn ich Drachen vorbeibringen werde wie jedes Jahr, ein Schreckenstag für mich, zum Glück erst am 14.Januar, wenn ich sie dann tatsächlich verteilen muss unter schreienden Kinder- Geschöpfen, die aus allen Richtungen gelaufen kommen und „me me“ „rufen und „patang patang“ , also Drachen zum Drachenfliegfest (Sankranti), wenn es überall freie Pakoras gibt und Kinder im Krankenhaus landen, weil sie nur noch himmelwärts schauen. Um zu meinem Brot zu kommen, muss ich an mindestens zehn Hunden vorbeinavigieren, die je nach Laune und Spannungslevel anfangen zu knurren oder mit dem Schwanz zu wedeln, beides keine Garantie. Auch in Deutschland rufe ich beim Anblick eines freilaufenden Hundes sofort nach der Leine, aber hier ist nix mit Leine, sie sind einfach überall. Auf dem Hin-und Rückweg, rechts und links hinter Zäunen: wunderbare Rosenfelder, aber auf dem Weg selbst ist es so dreckig, dass, schaut man mal hin, es wirklich nicht zu fassen ist. Überall werden neue Strassen gebaut, dann mal ein schnell nicht mehr funktionierendes Toiletten-Häuschen, dann auf allem Neuem wieder so viel Dreck, so als wäre die Welt nur dafür da, dass man Dreck in sie schüttet. Nee, dachte ich, das ist doch absurd! Modi will cashless cities, alles soll digitalisiert werden! Alles online ablaufen. Ja hallo! Wie wär’s denn mal mit gut bezahlten Hilfskräften, die ein Säuberungssystem entwerfen, das funktioniert! Sangita drängt mich, zum Nagarpalika, dem Bürgermeisteramt, zu gehen, da kann ich nur müde abwinken und verzichte außerdem auf HeldenInnen- Geschichten, wo ich zB mal nach Einsatz furchterregender Urkräfte ein paar Männer organisieren konnte, um eine schwer verwundete Kuh zur ärztlichen Behandlung zu bringen. Plötzlich strahlende Helden in epischem Ausmaß in Aktion! Und dann mein Einsatz mit den Plastiktüten! Ach nehmt doch bitte wieder Zeitungspapier, seht ihr denn nicht, dass die Kühe Euch vor den betenden Augen wegsterben!? Nein! Daher: „Abne aap se dekho“. Schau dich selbst an, und wenn Buddha, der Erleuchtete, recht hatte und es kein Selbst gibt, dann steht ja nichts mehr im Wege.


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