Winterblues

Winter-Blues – das ist doch ein passendes Wort für die Zustände, die man in einem Winter erleben kann, der noch nicht einmal ein richtiger Winter ist, wo man mal auf glitzernde Schneeflächen schauen könnte, ohne dass sie gleich wieder zu Matsch verfallen. Doch nichts lockt einen (nämlich mich) in die glitschigen Furchen, und die Augen halten Ausschau nach was Belebendem. Wobei sich natürlich der Atem da draußen ganz wohlfühlt, das allein könnte schon reichen als Ansporn. Und man will sich ja schließlich auch die Unabhängigkeit vom Wetter bewahren, und wenn es einem gut geht, lässt sich das ganz zufriedenstellend bewältigen. Der Tag muss eh jeden Morgen neu erschaffen werden, und nicht immer wacht man auf wie eine Löwin und legt die lebensfrohe Tatze auf den Überlebensplan. Und dann dieses dritte Jahr der Pandemie, in der das kollektiv Nichtgewusste in den Vordergrund tritt, das Navigieren im Ungewissen aber nicht kollektiv geübt wurde, oder wurde es doch geübt, eben bewusst oder unbewusst. Zuweilen denkt man ja, alles auf diesem Planeten sei so ziemlich durchdefiniert und leidet eigentlich eher an seiner Namensgefangenschaft, vom All bis zur Medizinkapsel. „Das ist Standard“, sagte die Ärztin zu mir, wohl mit der Bedeutung verknüpft, dass man das zur Zeit unter diesen Bedingungen gibt, ohne dass gewährleistet ist, dass dieser Standard auch jedem System Heilung ermöglicht, oder nennen wir’s lieber Unterstützung. Es hat auf jeden Fall einen Namen, und Heerscharen von Tieren sind dafür krepiert. Jemand schlug gestern vor, ich könnte unter dem Weißkittel-Syndrom leiden, das Wort kannte ich (auch) (noch) nicht und checkte kurz nach und nein, ganz so weit ist es noch nicht. Auf jeden Fall bin ich noch offen für Überraschungen, also auch die, die ich selbst erzeugen kann. Dann hat mich das Wort Winter-Blues dazu inspiriert, einen Text zu schreiben, der das alles einfangen kann, aber mein Bild (oben) ist schon trostlos genug, und Leonard Cohen hat einiges meisterhaft Unerträgliche von sich gegeben, das diese Lücke nach Bedarf bereichern kann. Genau, es geht um das Ertragen des einem unerträglich Vorkommenden. Nicht unter zwanghaften Bedingungen, nein!, das kann nicht gesund sein. Freiwillig und leidenschaftlich ertragen, das wär’s doch. Das, was man nicht ändern kann. Bis es von selbst vorüber geht, oder man gelernt hat, einen angemessenen Umgang damit zu finden, der einem bestimmten,  inneren Unruhe-Strang ein Ende setzt. Außerdem ist ja das Licht an sich noch da. In der indischen Wüste habe ich meine Augen immer an der Weite und dem Nichts weiden lassen, es hat ihnen gut getan. Hier vergesse ich manchmal, das die  Weite und das Nichts überall sind. Namenlos atmet das Ungewisse.

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