vergehen


Kunstfertiger Stuhl
Das ist das dritte Bild der kurzen Reise und ist vom Gästelager aus gemacht. Der Gast/die Gästin (uffh!) trinkt ihren grünen Morgentee und lässt die Augen wandern. Überall, wo sie hinwandern, treffen sie auf tiefe Eigenart der künstlerischen Natur, die sich eine Welt erschafft, an der andere teilnehmen können, ohne sie wirklich zu kennen oder zu verstehen. Zu einem Verstehen, das möglich ist, braucht es Zeit und Konzentration, damit man auch am eigenen Geschmack nicht hängenbleibt, sondern den Übergang erkennen kann, wenn etwas „Kunst“ wird, ohne dass es einem erspart bleibt, immer mal wieder selbst darüber nachzudenken, was sie denn nun sei. Die Kunst. Und auch beim meisterlich gestalteten Stuhl hört sie ja nicht auf, sondern fließt vielleicht in eine große Schale auf dem Boden, in der eine große Menge getrockneter Rosen die eigene Verfassung steigern. Wo Lebenswertes gestapelt ist und auch zeigt, wie vieles sich ballt und staut an dem, was ein Menschenleben angesammelt hat, aber kaum mehr bewältigen kann, bewältigen wir eh schon so viel an Unvermeidbarem. Und es liegt auch eine Gefahr in diesem reichhaltig Angehäuften. Denn siehe!, die Zeit vergeht und verengt durch unsere potentielles Entschwinden die Möglichkeiten der Erfahrung. Sodass man sich rechtzeitig kümmern muss, was mit dem Schatz des Erschaffenen passiert, damit es weder Last noch Erlischen gebiert. Und dann: nicht jeder Geist nimmt riesige Räume in Anspruch, weitet sie noch aus und belebt sie. Denn von dort kommen sie ja ursprünglich, die Archive und die Bibliotheken, wobei die Ordnungen fließender und beweglicher sind als die manifestierte Materie. Nur fehlt dem Innen die äußere Sichtbarkeit. Und durch Sicht, die wir erkennen können als unsere eigene, formt sich letztendlich das Verstehen auch einer anderen Welt, oder das, was wir an Anderem zulassen und unabhängig von uns wertschätzen können. Als ich also, als mit wandernden Augen dasitzender Gast, den Stuhl und meine darauf liegende Kleidung betrachtete, weil es mir vorkam wie ein Bild, das sich selbst gemalt hatte, lief nebenan eine online Bar Mitzwa, die aktuell in New York für einen jungen Mann stattfand, der hier sehr aufwendig in die Pflichten eines erwachsenen Menschen eingeweiht wurde, eben so, wie man das in diesem Kontext versteht. Das uralte Wissen, das unvergessliche Ritual, das ich auch in Indien erkannt habe als das verbindende Band unter Großfamilien, immer religiös ausgerichtet, da wohl alle irgendwann einen Jemand brauchten, dem sie zutrauen konnten, dass er Menschen zusammenführt. Auch bis jetzt hat sich für die Neigung des Menschen entweder zur Herde oder zur Isolation noch kein praktikabler Weg abgezeichnet, der bereitwillig nur unter und mit Menschen entstanden ist, den jeweils Lebenden eben. Und obwohl wir wissen, dass alle gehört und gesehen werden möchten, ist es nicht besser geworden. Denn der Hunger nach dem eigenen Seinsraum ist so groß, dass er das Interesse am Raum der Anderen zum Erlischen bringen kann. Aber ohne den Anderen: wer sind wir (?). Und wie finde ich jetzt zu dem Stuhl zurück? Auf jeden Fall habe ich ihn eingeschmuggelt und kann mich nun an dem Bild erfreuen.

Leave a Reply

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert