unbeschrieben


Betreten eines unbeschriebenen Blattes
Gibt es überhaupt noch unbeschriebene Blätter? Aber ja doch, jauchzt es aus verschiedenen Ecken der Welt, wo weiterhin heftig dokumentiert wird, was Menschen so erleben auf dieser Erde, manchmal auch mit Tieren und Umwelt, soweit man halt zum Sehen und Denken bereit ist. Wir alle dürfen sehen, was wir sehen, und denken, was wir denken. Das kann natürlich leicht dazu führen, dass man übersättigt wird von der Meinungsflut, oder aber von der Ungewissheit, was eigentlich mit einem selbst los ist. Deutsche Menschen haben in der Welt den Ruf, sehr fleißig zu sein, und so eine Prise Fleiß steckt sicherlich in uns allen. Nun hat aber der Spruch am Tor von Auschwitz eine historische Bremse eingelegt, denn Arbeit und Fleiß wurden von Verachtung und Hohn begleitet, und selten kann Arbeit innerhalb eines solchen Feldes frei machen. Immer noch wird gerätselt, wie so mancher Geist das überleben konnte, und viele unerhörten Einzelheiten spielten beim Überleben eine Rolle. Der Fleiß ist dennoch geblieben und die Weltbevölkerung hat es durchaus wahrgenommen, das hier etwas ziemlich Ungewöhnliches geschehen war, denn nicht aus jedem finsteren Loch steigt etwas auf, was den Anspruch auf Menschlichkeit erhält, und was gibt es Erstrebenswerteres für den Menschen, statt einem Ungeheuer ein Mensch zu sein? In diesem Zwiespalt hält sich das Tier nicht auf, deswegen lockt es zuweilen eine Zartheit aus dem Verborgenen hervor, die sich im Zwiespalt nicht wohl fühlt. Vielleicht fand ich es deswegen so interessant, dass Bernd Ulrich in seinem lesenswerten Artikel über Angela Merkel („Die Zeit“ N° 35) erst darum bat, ihn nicht mit den Worten „Sie ist ein guter Mensch“ zu zitieren, den Satz dann aber doch freigab, einfach, weil er dann doch genug Wahrheit enthielt, um nicht peinlich zu sein. Das Prädikat „Guter Mensch“ scheint also ziemlich hoch angelegt zu sein, und wenn man darüber nachdenken möchte, kommt man vermutlich zu überraschenden Ergebnissen. Der Fleiß, der unabhängig ist vom „Gutsein“, kann allerortens beobachtet werden. Er hat den Vorteil, dass er Leistung erbringt und natürlich Durchhaltekraft. Allerdings scheint es vielen Fleißigen schwerzufallen, hier eine Grenze zu finden, denn niemand setzt sie einem, außer man setzt sie sich selbst, günstigerweise bevor man sich unersetzlich gemacht hat oder krank wird, oder zum persönlichen Dasein nicht mehr wirklich geeignet ist. Muss man für das sogenannte persönliche Leben geeignet sein? Mönche und Nonnen und EremitInnen sehen das natürlich anders. Ein Teil der Gesellschaft erwartet von ihnen, dass sie sich mit dem beschäftigen, wofür andere BürgerInnen keine Zeit haben. So sind viele Lehren entstanden, und der antike Weg ist vielleicht einer der wenigen Pfade, der noch einen gewissen Glanz über die Souveränität des menschlichen Geistes werfen kann, eben (nur) in dem Sinne, dass man sich, wahrscheinlich gesellschaftlich privilegiert, die Zeit nehmen konnte, um die offensichtlichen Mysterien des Daseins zu ergründen. Irgendwie ging es immer und bis zur allerletzten Konsequenz um die Kunst und Fähigkeit, ein humanes Leben zu erzeugen. Sokrates wollte nicht morden, weil er nicht mit einem Mörder leben wollte. Hier liegt das Geheimnis: mit wem (als uns selbst) wollen und können wir leben?

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