hinein

Man hat ja lange und in jeglicher Form darüber reflektiert und herumgemunkelt, wer wohl ahnte oder gar wusste, dass das, was das Hitler Regime täglich vor aller Augen ausbreitete, nicht gut gehen konnte. Die persönliche Einschätzung des existierenden Grauens ist nicht nur schwer, sondern benötigt eine Kraft und einen Willen, es auch als das Existierende wahrzunehmen. Nur wenn dieses Grauen sich allerdings so sehr verdichtet, dass es keinen Ausweg mehr gibt aus dem kollektiven Irrsinn, dann kann man nur sagen: ‚Les jeux sont faits‘, und ‚Rien ne va plus‘, die Würfel also gefallen sind und nichts mehr geht. Solange noch was geht, hat man Zeit, die Situation selbst zu bedenken, eben wie weit man eigentlich von ihr selbst betroffen ist und wie diese Betroffenheit aussehen könnte, damit man sich als handlungsfähig visionieren kann. Aber genau w a n n fängt es denn an, dass man die spürbare Beklemmung als im wahrsten Sinne des Wortes atemberaubend zu empfinden beginnt? Wir können ja nur ahnen, welche Häuser und Leben immer wieder zurückgelassen werden müssen, wenn die bestehende Not Menschen zur Flucht zwingt. Wenn man überhaupt noch fliehen kann, oder überhaupt fliehen kann, denn manche fliehen aus Armut, und andere fliehen mit Reichtum irgendwo eingebaut in den Fluchtanzug. Nun zeigt sich der globale Lockdown genau als eine Gegenwelle, die jeden Fluchtweg  verwehrt, weil es gar keinen Ort gibt, wo man hinfliehen wollte. Die Richtung ist klar. Und genau wie eingesperrte Tiere liebt es auch der Mensch nicht, eingesperrt zu werden. Draußen döst das geschlossene Schlaraffenland vor sich hin. Keiner weiß, was einst davon übrigbleiben wird, und ob es noch genau denselben Hunger stillen kann wie im Vorher. Oder ob die Schalheit (oder der Preis) der angebotenen Früchte nicht eine besorgniserregende Ödnis erzeugen wird. Und ob die Unzahl der Pakete, die neuerdings an die Türschwellen geschleppt werden, den verlorenen Lustgewinn ausloten können. Gewaltig tönt die Stimme der politischen Vernunft mit einem Hinein! Hinein mit euch in die Häuser! Hinweg mit euch von den Straßen! Und dort in den Häusern, das weiß ja so ziemlich jede/r, ist der Fluchtweg zu Ende. Denn man versteht, dass hier auf engstem Raum auf einmal alles zählt, was man geworden ist. Nicht, dass es ansonsten nicht auch immer schon so ist und war, aber jetzt, in erzwungenem Beisammensein, wird es überdeutlich, um welches Spiel es geht. Wo und wie und wodurch habe ich mich eingeordnet in die Inszenierung, an der ich selbst zumindest in gewissem Maße beteiligt war und bin. Allerdings kann man auch in einem Familienbund Souveränität erlangen, ohne sich illegaler Wege zu bemächtigen. Auch ein Single Haushalt kann sich jetzt als Refugium erweisen, nur müssen nach wie vor die Bedingungen erkannt und für sich selbst bestimmt werden. Nur fliehen kann man nicht aus einem Lockdown. Überall ist Lockdown. Da bleibt einem praktisch nur der beste Weg übrig, den man jeweils zur Verfügung hat. Zum Beispiel: hinein. Ganz und gar hinein durch die Flügeltüren.

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