Momentaufnahme

Die starken Farben, mit denen ich gerade hantiere, kommen aus einem (Pelikan)-Malkasten unseres ehemaligen Vermieters, der sehr schöne Aquarelle damit gepinselt hatte. Er war Therapeut bis zum letzten Atemzug, ein erstaunlich großzügiger Mensch und gleichzeitig verborgen wie eine Perle in einer Muschel. Von ihm habe ich zum ersten Mal den Begriff  ‚Freischwebende Aufmerksamkeit‘ gehört, der von Freud stammt, aber mühelos in die Welt der meditativen Praktiken eingelassen werden kann und in kargen, aber genial präzisen Worten genau das beschreibt, was dort vor sich geht. Allerdings neigt sich der oder die meditativ Praktizierende niemandem zu mit dieser geschulten Ohrmuschel, nein, sondern die Wachsamkeit ist auf die Erforschung des eigenen Raumes gerichtet, eben um bei sich selbst zu schauen, was dort vor sich geht und wie man sich den Weg bahnen kann durch die auftretenden Hindernisse. Auf jeden Fall gibt es für den Weg, für den man sich entschieden hat (denn man entscheidet sich auf jeden Fall für einen Weg, auch wenn man es scheinbar dem Weg überlässt, einen zu leiten, für den bewusst oder unbewusst gewählten Weg also gibt es dann immer häufiger Hinweise. Natürlich kann man auch jederzeit den eingeschlagenen Weg abbrechen und einen anderen wählen. Dafür muss man natürlich wissen, warum einem der zur Zeit begangene nicht richtig erscheint, auf was kommt es also an? Neulich habe ich auf einem amerikanischen Sender ein Interview gesehen mit ehemaligen Q-Anon AnhängerInnen, die schienen alle auf ihre Art verblüfft, dass ihnen das passieren konnte, so einen offensichtlichen Blödsinn zu glauben: zum Beispiel dass Joe Biden eigentlich gar kein Mensch sei, sondern ein zusammengesetzter Alien, und dass morgen, also am 4. März, Donald Trump wieder Präsident werden würde, in dem sie auf eindeutig mysteriöse Weise einen Gott sehen. Es kann erschreckend sein, wenn man begreift, wie anders das Sehen andrer Menschen sein kann. Und das kann gut genutzt werden, indem man die eigene, eingefahrene Seite des Selbstverständlichen sieht. So habe ich neulich den Farbkasten wieder ins Auge gefasst und mich dann auf die aufreibende Fahrt ins Reich der Farben eingelassen. Es wird so lange gehen, wie die Farben reichen, dann sehen wir weiter. Läden werden geöffnet sein, Flugzeuge bald wieder überall hin-und herfliegen, ein tiefes Ächzen der stillgelegten Maschinerie hörbar, in Fahrt gebracht mit teurem Öl. Eine durchgeimpfte Menschheit begibt sich auf Wanderung und die Suche nach dem Faden aus dem verlorenen Labyrinth.

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