überqueren

Vor ein paar Wochen gelang es mir eines Morgens, unbeobachtet ein Bild von dem Sadhu zu machen, wenn auch nur von hinten, wie man oben rechts im Bild sieht. Er ist jemand, den ich jeden Tag sehe, denn er verlässt schon seit Jahren seinen Platz nur noch für’s Allernötigste. Seine kleine Hütte, extra für ihn gebaut, ist angefüllt mit Zeug, das alles die gleiche Farbe zu haben scheint: die vergilbte Schönheit vom Feuerrauch gleichermaßen behandelte Objekte, die sich alle einem Besitzanspruch entzogen hatten. Der Baba, wie diese „Mönche“ hier meist geannt werden, lag oft in der Tür seiner Behausung und sonnte sich. Oft war er eingeschlafen oder zählte sein Geld, das die vielen Pilger bei ihm ließen. Sein Körper nur noch Haut und Knochen, aber die Haut darüber fiel auf durch einen tiefen Glanz, die das ganze Gerüst beleuchtete, nur bekleidet mit einem kleinen Tuch und einem größeren zum Umlegen, denn er gehörte nicht zu den Nackten, die sich mit Asche kleiden. Gestern kam ich vorbei und blieb zusammen mit Anderen stehen, denn er lag und sah krank aus. Fieber, sagten sie. Er wurde von zwei Männern mit Senföl massiert, aber es ging ihm offensichtlich nicht gut, ich ging weiter. Heute war die Tür geschlossen. Ich wusste sofort, dass er gegangen war. Um 11 Uhr, erzählte mir der nächststehende Brahmane, eine Stunde nach meinem Vorübergehen. Schon fingen die Legenden an, wieviel Jahre über hundert er war, und wer kann es wissen. Die Mütter dieser Generation erinnern sich an ihre Geburtsdaten höchstens, wenn der Mond schien oder irgendein besonderer Feiertag war, als alle feierten, nur sie musste gebären. Die Szene um die Hütte des Sadhu war wie leergefegt. Ich werde ihn vermissen, sagte ich zu Ashok, da war er jeden Tag und man konnte sein Alter bewundern. Doch ich denke auch, dass bei so einem ganz natürlichen Abgang wegen hohem Alter nicht so viele Emotionen auftauchen. Man freut sich, wenn jemand es gut geschafft hat und vor dem Abgang nicht so viel leiden musste. Die Nachricht von seinem Tod war aber heute für mich schon die zweite. Als ich das Bild von dem Hund oben machte, der im Tempelhof wohnt, zeigte der Priester auf eine kleine Familie, die am See stand und die Asche ihrer dreijährigen Tochter in den See versenkte. Er war auf dem Weg, die Rituale für sie einzuleiten. Drei Jahre!, das ist nicht viel, aber es ist trotzdem ein ganzes Leben. Beide, das Kind und der Sadhu, werden nicht verbrannt, sondern in die Erde gelegt. Die Eine, weil sie noch ein Kind war, und der Sadhu wurde in „Samadhi“ gesetzt (ein das Körperliche transzendierenden Bewusstseinszustand) als jemand, der einen guten Weg hinter sich und dadurch auch vor sich hat. Wir sehen einen Nachen sich zeitlupenmäßig durch die Dunstgefilde der scheinbaren Ewigkeit bewegen. Am Bug sitzt ein Tempelhund und wittert die greifbare Nähe des Ungewissen.

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