kal

Heute früh entdeckte ich im Vorübergehen dieses Bild und grübelte kurz, wen es darstellte oder einmal dargestellt haben könnte. Dann schaute ich links und rechts, bevor ich mein Smartphone zücken wollte, aber da kam schon ein Brahmanenpriester und wollte sehen, was ich da sehe. Anstatt ihn ins Grübeln über mich zu bringen, teilte ich mit, wie überraschend ich es finde, dass man manchmal gar nicht mehr sehen kann, wer gemeint ist, das kam irgendwie bei ihm an. Beschäftigt mit der unter uns Menschen grassierenden Sucht, alles besser zu wissen, dachte er kurz nach und bemerkte, dass die Zeit doch sehr mächtig sei. Das ist richtig, und da er jetzt in Fahrt war, musste ich ein paar Schritte mit ihm gehen und konnte das Bild erst später aufnehmen. Ist es nicht erfreulich in seiner heiteren Kindlichkeit? Bilder, auf denen man nicht mehr erkennen kann, was einmal gemeint war, haben mich in Indien immer interessiert und regen meinen Sammlerinnen-Geist an. Sie sind etwas, was achtlos herumliegt, obwohl das nun Zugängliche oft viel tiefere Ebenen des Unterbewussten anspricht, dann auch die des Bewussten. Am besten ist es, wenn ich unterwegs merke, dass es wieder so ein Tag ist, an dem ich beim Sehen auf alles gefasst sein muss, und dann ist es auch so, dass es mir vorkommt, als würde ich auf einmal „wirklich“ sehen: dieses Enthaltensein von allem in allem, diese bestürzend kosmische Verbundenheit. Aus diesem Blickwinkel heraus kann ich dann manchmal auch nachvollziehen, wie Götter erschaffen werden. Alle erschaffen, was sie brauchen. Werden die Götter nicht mehr gebraucht, werden sie und ihre Welten langsam vergehen. Die Landschaften werden ein leises und fast unauffälliges Grab werden von doch auch sehr hoher Kunst, die hier überall schon schlummert, an Bäume angelehnt, und manchmal noch ein kleines flackerndes Öllämpchen davor. Das Ich will sein Lämpchen brennen sehen, und immer kommt es auf die innere Haltung an, die einer Geste Bedeutung und Wirkung gibt. Und ja, die Zeit ist mächtig und hat Grenzen in der körperlichen Welt wie alles andere auch. Eines der Hindi Worte für Zeit ist „kal“ und bedeutet einerseits gestern, und andrerseits morgen, was bedeutet, dass der lebendige Moment nicht wirklich einen Namen hat, er kann nur erlebt werden, eingegrenzt von den festgelegten Bedingungen. Es gibt aber auch ein „Mahakal“, eine Große Zeit, in der die Grenzen des Raumes und der Zeit gesprengt werden können. Es wird gelehrt als die ursprüngliche Bedeutung von Yoga, bzw der Zustand des meditativen Seins an sich. Manchmal traut man sich kaum mehr die viel vermarkteten Worte auszusprechen, das kostbare, einfache Gut mit den neuen Preisschildern. Für etwas, das gar keinen Preis haben kann, denn es ist immer da und braucht nichts anderes als Wahrgenommensein. Das allerdings braucht es, sonst kann es nicht sein, was es ist.

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