Samedi*


Samedi -: Samstag

Vor ein paar Tagen hatte ich den kühnen Einfall, eine Mutter zu pinseln. Nicht unbedingt meine Mutter, bewahre, wo würde ich beginnen, nein!, eine Mutter, die aus irgendeinem schwer definierbaren Grund jedermanns Mutter sein könnte. Nach einigen Strichen wusste ich, dass ich weiter nicht komme. Jeder festere Zug würde einschränkende Aussagen machen, und ich gehöre nicht zu den wundersamen Künstlern, die lebende Menschen naturgetreu abmalen können, sodass man die Haarsträhnen an den Schläfen spürt. Ich habe also kurzerhand beschlossen, (schließlich ist Samstag, die Hälfte der Landesmenschen liegt oder spielt  an den Stränden Europas, die anderen sind beim Einkaufen, vor allem Getränke, damit keiner verdurstet), dass also wenn man ein bisschen Zeit hat, ruhig auch während der Einkäufe,  man samstags ruhig mal an seine oder ihre Mutter denken kann. Wie sah oder sieht sie überhaupt aus? Welche Wirkung hat dieses bedeutsame Phänomen heute auf mich, mit seinen photoartigen Erinnerungen, obwohl ich sagen muss, dass es mir erstaunlich leicht fiel, die Alben loszulassen, nicht, ohne drei oder vier Bilder herauszulösen, die nun wiederum in einem anderen bedeutungsschwangeren Kästchen herumliegen. In allen Anekdoten, die zu meiner persönlichen Geschichte gehören, ist der Wahrheitsgehalt fragwürdig. Meines Erachtens geht es u.a um zwei nüchterne Betrachtungen: einerseits der Raum, in dem ich ein Kind sein konnte, das befriedigende Grundbedürfnisse in sich entwickeln und mit sich  tragen konnte, und andrerseits um die Möglichkeit, ein reifer Mensch zu werden, der sich in geistiger und körperlicher Unabhängigkeit von der Mutter bewegen kann. Hätten wir wie einige Hindus so früh gelernt, uns morgens beim Aufstehen bei der Erde und dann bei den Eltern für unseren Aufenthalt auf ihr und durch sie zu bedanken, wäre vielleicht einiges anders verlaufen. Aber dann wird dort aus vollkommen verschiedenen Gründen vielen (weiblichen) Ungeborenen der Aufenthalt verwehrt und verhindert, die Gründe sind nicht einleuchtender. Nur die Überlebenden spüren, ob jemand sich freute auf ihre Ankunft, oder nicht. Dann irgendwann macht es auch keinen so großen Unterschied mehr. Viele von uns sind gute KünstlerInnen und PhilosophInnen etc geworden, und die indischen Räume waren für einige von uns ein hilfreicher Landeplatz (Auffanglager). Das Vaterland eine Weile zu verlassen, bis die Väter wieder zu sich kommen, hat der Tochter auch nicht geschadet, auch nicht der lange Aufenthalt im Mutterland. Ich persönlich habe den unpersönlichen Titel der Mutterschaft erworben (ma), beziehungsweise: man hat ihn mir geschenkt, als man mir zugetraut hatte, die Bedingungen zu erfüllen, die daran gebunden waren. (Kinderlosigkeit und einigermaßene Verführungsgefeitheit). Wir bedanken uns also bei der Erde, auf der wir auftreten durften und noch immer auftreten, und dass sie uns, beziehungsweise mich, trotz allem hat leben lassen, und es ging, das muss auch mal gesagt werden, alles doch ziemlich gut. Seit man die Aufgaben richtig begriff, ging es wesentlich leichter. Der Tag fängt ja immer erst an.

 


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