Anekdoten

Da schauen sie uns manchmal an, die fernen Geister, die wir oft nur aus Anekdoten kennen. Einmal saß ich am Steuer des Wagens meiner Mutter und chauffierte sie und ihre Freundin nach Ungarn, wo die Tochter der Freundin wohnte. Sie kannten sich alle schon länger, und im Auto fingen die Geschichten an. Auf einmal wurde ich hellhörig. Sie sprachen über meinen Vater, den ich nur aus den dunkel gedämpften Lobeshymnen meiner Mutter kannte, denn er war ihrer Meinung nach ein Gott gewesen, den keiner mehr einholen konnte. Diese andre Frau da hinten kannte ihn, sie hatte mit ihm gesprochen, er war vor ihr gestanden undsoweiter. Es gelang mir, sie zu überreden, mit mir in eine Therme zu gehen, um dort aus ihr herauszulocken, was an Erinnertem in ihr steckte. Es war auch nicht so viel mehr, eher ein bisschen weniger, ließ ihn als Mensch angenehm erscheinen, nahm Schlange und Adler weg von der azurnen Einsamkeit, in die sie ihn gehüllt hatte, die Frau von meinem Vater, die uns Töchtern den Eindruck hinterließ, als hätte sie gut und gerne die Tage mit Superman allein verbracht. Es machte ihr manchmal Mühe, sich an mich zu erinnern, als ich gelernt hatte, die Anekdoten ab und an zu unterbrechen und eine Frage nach mir selbst zu stellen, wo ich in all dem Trubel wohl war und wie es mir ging trotz der netten Hausangestellten, die wir auch hatten. Sie war erstaunt. Du? Oder dir? Wie es dir ging? Es ging dir doch noch gar nicht, denn du warst ja noch ein Kind. Gerade hat mir eine Frau erzählt, wie verblüfft sie war, in einem Laden vor einem zweijährigen Zwillingspaar zu stehen, die sich vernünftig und fließend unterhalten konnten. Und dass Kinder die Zeichensprache schon sehr früh beherrschen können, da sie Bewegung vor dem Wort wahrnehmen. Obwohl es oft nicht so aussieht, bewegt sich das kollektive Bewusstsein auch voran und man weiß nun mehr über das wache Erleben des Kindes, auch wenn man für dieses Wissen noch an bestimmte Orte gehen muss, wo so etwas Geheimnisvolles erforscht wird, oder man hat das Glück, darüber informiert zu werden. Dass wir vom Leben nie getrennt und mit eigenem Wesen angekommen sind, auch wenn viele Hüter-und HüterInnen (Eltern) davon nichts wissen oder nichts wissen wollen. Nun kommt es natürlich darauf an, dass man den Kleinen nicht dauernd die Tassen von anderen Schränken aufdrängt, so als hätte ich nicht meine eigenen zur Verfügung und wie viele müssen sich wehren, wenn sie können, gegen die Ideen der Wächter, so als hätten die ein Stück Land gepachtet und wüssten, was drauf wächst. Andere werden ständig allein gelassen und dürfen schreien, weil es die Lungen stärken soll. In Indien sehe ich oft auch Töchter auf Väterarmen stolz durch die Gegend getragen werden. Man schmückt sich rechtens mit ihnen. Kurz darauf, denn das dauert ja nicht so lange, bis erzogen wird, kurz darauf geht’s zur fremden Familie und dem fremden Mann, der nachschaut, ob er gut versorgt wird. Gut, ich bin vermutlich auch mal auf einem Vaterarm gesessen, wer weiß. Die Anekdoten geben es nicht her. Man sagt, er wollte gerne Töchter. Aber wer weiß schon, was er wirklich wollte. Er war ja erst 37 Jahre alt, als er starb.

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