Gabriela Mistral

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DER BECHER

Ich trug einen Becher
von einer Insel zur andern. Ich weckte das Wasser nicht.
Hätt’ ich’s verschüttet, hätt’ ich den Durst betrogen.
Nur einen Tropfen, und die Gabe wäre vertan,
alles wäre verloren, sein Herr hätte geweint.

Ich habe keine Stadt begrüßt,
kein Lob dem Flug ihrer Türme gespendet,
nicht die Arme geöffnet in der großen Pyramide,
kein Heim gegründet dem Reigen der Kinder.

Doch als ich ihn abgab, den Becher, rief ich,
die junge Sonne auf meiner Kehle:
„Meine Arme sind frei wie die Wolken, die herrenlosen.
Und mein Hals wiegt sich auf dem Hügel,
eingeladen haben mich die Täler.“

Lüge war mein Alleluja! Seht mich an!
Ich halte den Blick gesenkt auf meine leeren Hände.
Langsam schreite ich, ohne den Diamanten aus Wasser.
Schweigend gehe ich fort. Nicht trage ich Schätze.
Mich betäubt das Blut, das in meiner Brust,
in meinen Pulsen schlägt aus Angst, aus Sorge.


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