Teppich

Das fand ich ja erheiternd, diese Illustration in der Zeitung zu sehen und dachte, das Sprichwort „etwas unter den Teppich kehren“, wäre in Indien auch bekannt. Aber niemand, den/die. ich fragte, kannte es, auch weil es ja keine Teppiche gibt in den Häusern, eher so Riesendinger bei den religiösen und politischen Veranstaltungen, die natürlich auch zum Drunterkehren prächtig geeignet wären, säßen nicht immer so viele drauf, dass selbst die Ameisen drunter ersticken. Der Illustrator schaut sich offensichtlich global um. und es ist ihm gut gelungen, das Bild für sich selbst sprechen zu lassen, sozusagen zur Universalsprache zu machen. Obwohl Teppich und Unterbewusstsein einiges gemeinsam haben, lagert doch im Unterbewusstsein vieles, was man erst ergründen muss, während man beim Teppich einfach lüpfen muss und schwupp! ist das, was man aus irgendeinem Grund nicht möchte, weg. Natürlich nur vorübergehend, denn irgendwann reicht ja der Besen nicht mehr hinunter, und der Verdrängungsbuckel beginnt aufzufallen. Dann hat man nur noch eine Option und kann so tun, als wäre der Haufen die Welt, der man den Rücken kehrt, bis auch das nicht mehr klappt. Natürlich kann in dieser Verfassung der Teppich auch nicht mehr zum Fliegen benutzt werden, aber fliegende Teppiche sind eh out. In den indischen Familien, in denen ich mich bewege, ist es sehr heikel, über Dinge, die offensichtlich schief laufen, zu reden. Vor allem dürfen die Jüngeren, wenn ihnen mal was Störendes auffällt, nichts zu den Älteren sagen, das wird einfach als unerhört überhört. Aber die Jungen lernen auch ganz früh, nichts zu merken. „Du darfst nicht merken“, ist ein Klassiker hier. Manchmal schalte ich mich ein, dann kann es so schwarz werden, dass man ohnmächtig zurückschreckt. In Lalis Familie, hohe Brahmanenkaste, gab es so viele Fälle von an Wahnsinn grenzender Gestörtheit, dass man einen guten Moment wählen muss, um überhaupt was sagen zu können. Der älteste Bruder von Lali ist an Alkohol gestorben seine erste Frau hat ihn wegen zu wenig Aussteuer verlassen. Dann hat er Chandra geheiratet, die von Anfang an dement war und nun für einen Priester Teller wäscht. Der zweite irrt täglich im Dorf herum und sucht nach Heroin und muss regelmäßig von seinen Söhnen nach Hause gebracht werden. Einer der Söhne ist so riesig groß und breit, dass man nichts mehr sieht, wenn er in der Türe steht. Meistens liegt er auch auf einer Bank und schaut fern, stundenlang, egal was. Gestern habe ich die Kiste ausgeschaltet, weil Lali und ich besorgt sind wegen seinen zwei Kindern, und mit ihm reden wollten. Er schaut erschöpft nach oben zu unseren Blicken und sagt, seine Frau sei ein Tier und würde die Kinder schlagen, und er weiß nicht, was er machen soll. Der ältere Sohn ist 6 und kann noch nicht sprechen. Die Mutter lässt ihn nicht in die Schule gehen. Sie verbringen den ganzen Tag mit ihr in einem dunklen Raum, sagt Lali, und sie sperrt die Türe zu. Jeden Tag hört man die Kinder schreien. Am schlimmsten ist für mich, dass die Großmutter, Lalis Mutter, so tut, als verstünde sie gar nichts, auch die eigene Sprache nicht. Sie hat ein Verbrechen nach dem anderen begangen, schreckliche Schicksale eingeleitet durch all ihre Fehlentscheidungen, und der einzige Mensch, der sich aus dem tiefen Dunkel dieses Teppichs herausgearbeitet hat, ist Lali. Man verneigt sich dann gern auch mal vor den Kräften, dei hier innerlich am Wirken waren. Sie leitet inzwischen das Pilger-Restaurant, auch bei Ausländern hoch beliebt, und wird inzwischen für ihre Arbeit geachtet. Nur die Mutter schaut ihre Tochter an wie eine Blinde.

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