das Rund

Vor ein paar Jahren habe ich mich einmal aufgemacht, um in Delhi eine Frau aufzusuchen, von der ich gehört hatte, dass sie eine Forschung betreibt, die ich auch interessant fand. Sie hatte bei beiläufigen Besuchen in Indien in den Tempeln, die den Göttinnen geweiht waren, ein Phänomen entdeckt, und zwar war zu beobachten, dass da, wo sich ein freies Rund befand, um das sich die weiblichen (Gottheiten)- Figuren scharten, in späterer bis moderner Zeit ein zentrales Objekt in den Raum gesetzt worden war, und zwar ein Lingam, also ein Phallus. Diesen existierenden Freiraum hatten einige Geister, vermutlich  Priester der Tempel, wohl als eine unakzeptable Leerheit empfunden, in der nur der Lingam einen Sinn erzeugen konnte. Ganz im Gegensatz dazu war es aber so, wie diese Forschung ergab, dass dieses System wohl so konzipiert war, dass immer jeweils eine Person, in diesem Fall eine Göttin, in die Mitte treten konnte und sagen, was zu sagen war, dann zurücktrat in den Kreis, um Anderen Raum und Aufmerksamkeit zu schenken. Das gefiel mir sehr gut, da es eine der souveränen  Modelle von Zusammenkünften darstellt, die der Neigung zu autoritären Systemen zumindest vorbeugt, wenn schon nicht widerspricht. Ja, wir finden das sicher auch in Workshops wieder, doch auch da wird ja immer noch geleitet, während es in besagtem Kreis eher darum geht, einen Raum in Anspruch zu nehmen, bzw ihn auch in Anspruch nehmen zu können, damit durch die Aussagen individueller Systeme ein gelungenes Zusammenspiel sich ergeben kann. Ich habe mich an diese Erfahrung erinnert, weil ich in einem meiner Beiträge so nebenher erwähnte, dass ich im Jazz mal „zuhause“ war. Was meinte ich eigentlich damit, habe ich mich später gefragt, denn auch jetzt, wenn mir die Eingebung für Jazz kommt, empfinde ich dieses Ankommen in einem Zuhause. In Berlin, als das Modern Jazz Quartier dort öfters gastierte, gefiel mir besonders diese Exzellenz der einzelnen Spieler, die immer mal wieder in den Vordergrund, bzw. in den Kreis der Aufmerksamkeit rückten, um wahrhaft bravouröse Solos zum Besten zu geben, dann aber wieder zurückkehrten in das Zusammenspiel, um einem anderen exzellenten Spieler Raum zu machen. Das spricht mich an. Es ist das Zugeständnis und die Erfahrung der Exzellenz der Anderen, soweit vorhanden, die diese Art der Souveränität ermöglicht. In gutem Jazz erfährt man das wie eine Selbstverständlichkeit. Selbst wenn man SoloistInnen hört wie zB Diana Krall, spürt und hört man doch durchweg das Vertrauen in die Solo-Performances der Mitspieler, das gewährleistet, dass man sich selbst mit Leib und Seele einlassen kann auf das Angebotene. Wenn die Musik nicht in die Irre führt, sondern in ein gemeinsames Erleben und Hören, das hier auf das Beste geschult wird. Die Tatsache, dass ich persönlich einmal auf das verlockendes Angebot eines Karriereweges verzichten konnte, hatte damit zu tun, dass ich diese Bedingungen nicht erfüllt sah. Von einem Stipendium in Salzburg bin ich dann umgesiedelt zum Living Theater, wo uneingeschränkte Kreativität im Umgang mit neuen Formen erwünscht war. Diesen Schritt habe ich nie bereut.


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