Endspurt

Schön, wenn man es sich leisten kann, an einem „Endspurt“ nicht teilzunehmen, hier ist natürlich der Weihnachtsendspurt gemeint. Haben Sie schon das richtige Geschenk gefunden? Nein, denn ich habe gar nicht danach gesucht. Auch wenn sich zuweilen eine Schulter unter meiner Handführung zum Engelflügel wölben möchte, widerstehe ich, wenn auch nicht zu erfolgreich, und lasse es baumeln, wo immer es hin möchte. Ich weiß dann selbst nicht so genau, ob das Wesen sich an einer großen Zitrone festklammert, um nicht ins Dunkel der Nacht zu sinken, oder ob ein im Wasser gleitender Herold die angemessenen Texte vom zeitlosen Pergamentblatt verliest, jenseits vom lauten Rauschen der Pandemie, die die Erde zur Zeit im Griff zu haben scheint, und nicht nur scheint. Ein neues Scheinen unter neuen Ordnungen. Beflügelte bahnen sich einen Weg durch den Weltraumschrott und halten Ausschau nach sicheren Orten für ihre Posaunen und Trompeten. Zum Glück laufen bei uns noch die Kulturprogramme, da findet sich sicher eine Möglichkeit. Es ist ein wahres Wunder, dass die irrsinnigsten Geschichten, die das kollektive Gehirn hervorgebracht hat, immer noch Anlass geben für weltbewegende Veränderungen. Kurz vor den Nachrichten erwische ich mal wieder die letzte Minute des Pfarrerbeitrages, der sich riesig freut über die Ankunft des Heilandes. Immer sei der da, meint er, das dürften wir nicht vergessen. Ich darf und kann es doch nicht so ganz, aber schon besser. Geht es mich überhaupt etwas an? Und geht es irgend jemand anderen etwas an, wenn die Kirchenglocken für mich nicht süßer klingen zur Weihnachtszeit. Süßer die Locken nie schwingen, habe ich früher gerne gesungen, das trägt genauso viel Tröpfchen Wahrheit in sich wie alles andere. Und weil es hier emotional gesehen kaum Fluchtwege gibt, muss oder besser kann man sich einen eigenen Weg bahnen, der weder bemüßigt ist, sich in Ablehnung des einem gänzlich unwirklich Vorkommenden zu verstricken, sondern man schwingt irgendwie mit, indem man das Eigene erörtert. Der sogenannte Weihnachtsendspurt hat ja herzlich wenig zu tun mit einst heiligen Dingen, sondern der Erhalt der wirtschaftlichen und der persönlichen Lage hängt davon ab, wie vielen Menschen es gelingt, ihren Mitmenschen Gekauftes zu offerieren. Gleichzeitig läuft der eigentliche Sinnesrenner an vorderster Front, nämlich die Antworten auf die Frage, was an solch gehypten Tagen gegessen wird, und dann getrunken, denn beides sind exzellente Füllprogramme, die die wirklich brissanten Themen locker ersticken können. Denn hat man weit über die eigenen Vorstellungen hinaus vom ganz besonderen Nahrungsangebot zu sich genommen, breitet sich die berühmte Weihnachtsschwere aus, aber halt!, das alles muss ja nicht sein, wenn gut ausbalanciert mit etwas anderem, über das man noch nachdenken kann. Oder sich einfach entspannt dem öffnen, was auf einen zukommt, so wie halt sonst auch, nur mit mehr Kerzen und Lebkuchen und Walnüssen und Feigen und Datteln und Orangen und Marzipan usw. Und ja, so ein Gläschen Glühwein ist einfach was Angenehmes, und dass es in dieser Welt immer noch genügend Holz gibt, mit dem man ein prasselndes Feuer entfacht, kann aus dieser Dankbarkeit heraus das Innere durchaus auf Hochglanz polieren.

 


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