Raimund Hoghe

 Choreograf Raimund Hoghe gestorben,
e
iner der wichtigsten Protagonisten
des zeitgenössischen Tanzes

Raimund Hoghe, geboren in Wuppertal, verfasste zunächst Porträts von Außenseitern und Prominenten, die in „Die Zeit“ erschienen und auch in mehreren Büchern zusammengefasst wurden. Von 1980 bis 89 arbeitete er als Dramaturg für das Tanztheater Wuppertal Pina Bausch, über das er auch zwei Bücher schrieb. Seit 1989 entwickelt er eigene Theaterarbeiten für verschiedene Tänzer und Schauspieler. 1992 begann seine Zusammenarbeit mit dem bildenden Künstler Luca Giacomo Schulte, der bis heute sein künstlerischer Mitarbeiter ist. 1994 realisierte er das erste Solo für sich „Meinwärts“, dem „Chambre séparée“ (1997) und „Another Dream“ (2000) als Trilogie über das vergangene Jahrhundert folgten.
Neben seiner Theaterarbeit arbeitete Hoghe vielfach für das Fernsehen und realisierte u.a. für ARTE den Film „Die Jugend ist im Kopf“ über die französische Theaterleiterin Marie-Thérèse Allier (2016), „Lebensträume“ (ZDF/3sat 1994) und 1997 im Auftrag des WDR das einstündige Selbstportrait „Der Buckel“. Seine Bücher wurden in mehrere Sprachen übersetzt, mit seinen Stücken gastierte er in verschiedenen Ländern Europas, Nord- und Südamerika, Asien und Australien. Er hat zahlreiche Preise erhalten, darunter 2001 den „Deutschen Produzentenpreis für Choreografie“. 2006 erhielt er den „Prix de la critique Francaise“ für „Swan Lake, 4 Acts“ in der Kategorie „Beste ausländische Produktion“. 2008 wurde Raimund Hoghe in der Kritiker-Umfrage der Zeitschrift „ballet-tanz“ zum „Tänzer des Jahres“ gewählt. 2019 ernannte ihn der französische Kulturminister zum „Officier de l’ordre des Arts et des Lettres“. Raimund Hoghe erhielt die Auszeichnung in Anerkennung seiner „außerordentlichen Verdienste um die kulturelle Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Frankreich“. 2020 wurde ihm der Deutsche Tanzpreis verliehen – die höchste Auszeichnung, die der Tanz in Deutschland zu vergeben hat. Bücher über seine Theaterarbeiten sind in Frankreich, Deutschland, England und den USA erschienen. Raimund Hoghe lebt in Düsseldorf.


„Den Körper in den Kampf werfen“, schreibt Pier Paolo Pasolini. Dieser Satz: für mich auch ein Anstoß, auf die Bühne zu gehen. Andere Anstöße: die mich umgebende Realität, die Zeit, in der ich lebe, die Erinnerung von Geschichte, Menschen, Bilder, Gefühle und die Kraft der Musik, ihre Schönheit und die Konfrontation mit einem Körper, der – in meinem Fall – herkömmlichen Vorstellungen von Schönheit nicht entspricht. Auf der Bühne auch Körper zu sehen, die nicht der Norm entsprechen, ist wichtig – nicht nur mit dem Blick auf die Geschichte, sondern auch mit Blick auf Entwicklungen der Gegenwart, an deren Ende der Mensch als Objekt des Designs steht. Zur Frage des Erfolgs: Wichtig ist, arbeiten zu können, den eigenen Weg zu gehen – ob mit oder ohne Erfolg. Ich mache einfach das, was ich tun muss.
Raimund Hoghe

In seinem erstem Solo, „Meinwärts“ (1994), beschäftigte sich Raimund Hoghe vor dem Hintergrund der vierziger Jahre mit der Biografie des jüdischen Tenors Joseph Schmidt. In „Chambre séparée“ thematisierte er seine Kindheit im Deutschland der Wirtschaftswunderzeit, das die braunen Schatten der Vergangenheit noch längst nicht abgestreift hat. In „Another Dream“ schließlich dreht sich alles um den Aufbruch der sechziger Jahre. Raimund Hoghes Tanztheater ist explizit politisch, ohne die Form zu vernachlässigen. In seinen minimalistischen Stücken begegnet die rituelle Strenge des japanischen Theaters der amerikanischen Performance-Kunst und dem deutschen Expressionismus mit seinem Interesse an menschlichen Gefühlen und gesellschaftspolitischen Befindlichkeiten. Kleine anekdotische Texte erhellen wie Streiflichter die Widersprüche der Zeit und die kleinen großen Sehnsüchte, die den Menschen Hoffnung geben. Die szenische Aktion bleibt dabei stets der Abstraktion vorbehalten, während die Emotion allein in den alten Schlagern liegt, die Hoghe dem jeweiligen Thema und der Zeit entsprechend sorgfältig auswählt. Dabei formuliert er seine Erinnerungen auf eine Art, die geschichtliche Ereignisse durch den subjektiv und rein privaten Moment hindurch aufruft. Doch sein Körper, der durch seinen Buckel nicht der gesellschaftlichen Norm entspricht, ist immer auch ein Platzhalter für uns alle und unsere persönlichen Erinnerungen. Zwischen Dingen, Worten und Liedern öffnen sich Freiräume für eigene Erinnerungen und affektive Momente. Es sind durchaus auch humorvolle Momente des Eingedenkens.
Gerald Siegmund

Raimund Hoghe im Interview: »Ich vergesse meinen Körper sehr oft« - SZ Magazin


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