hier sein

Ein weiterer Zettel, der länger schon bei mir herumliegt und großzügige Deutungen zulässt. Sogar als Liebesbotschaft könnte die Aussage durchgehen, eben: wart doch nicht länger, sondern komm noch heute. Oder aber der Spruch appeliert an die Anwesenheit, und man kann mal kurz checken, ob man bei der Sache ist, die gerade ansteht, oder auch über Anwesenheit an sich nachdenken, denn weiß man denn wirklich, was Anwesenheit von Nicht-Anwesenheit unterscheidet, und wie man das zu erkennen vermag. Und was entgeht einem überhaupt, wenn man nicht anwesend ist, sondern eben woanders als da, wo man ist. Ich wurde am Morgen schon benachrichtigt, dass der Tourismus  in den Startlöchern steht. Die Busse sind gewartet, die Hotels ausgebucht, die Touristen packen ihre Koffer, startbereit und legal der Berechtigung entgegen strebend, auf Meere , auf Strände, auf Inseln, eben da hin, wo es diese Reisegruppen gibt, und das ist überall. Obwohl es sehr unterschiedliche Wahrnehmungen unter einander und voneinander gibt, kann man, das hat man im Lockdown gemerkt, nicht mehr ohne einander leben. Klar hat man sich lustig gemacht über die Eindringlinge, aber bald hat man sie schon gebraucht und hat ihnen gerne gebracht, was für einen selbst undenkbar war. Der indische Ort, an dem ich lange gelebt habe, war vermutlich auf der Erde der einzige vollkommen vegetarische Platz, vor allem, weil die oberste Kaste kein Fleisch und keine Eier und keinen Fisch aß, es war verpönt. Ich hörte allerdings auch mal, dass die Armen sich zuweilen ein Ferkel schnappten und brieten, oder aus dem heiligen See einen Fisch holten, das spricht auch Bände.  Als die Foreigners kamen, gab es bald alles, was ihre Geschmacksrichtungen begehrten. Diese Sorte Traveller war bald nicht so beliebt, obwohl sie genügend Geld einbrachten für das Leben, das die Einheimischen selbst lebten. Alkohol kam herein und veränderte viel. Dann kam eine Fehleinschätzung bezüglich der Touristengruppen, die zwar viel Kohle für die überteuerten Hotels und aufgemotzten Paläste hinlegten, aber vor dem Kaufen gewarnt wurden von Betrügern, die vor Betrügern warnten. Und dann das Meer! Klar will ich auch ans Meer, obwohl ich weiß, was ich weiß, und alle anderen wissen es ja auch. Trotzdem wird an jeder freien Lücke der Meere geplanscht, oder getaucht, oder gesegelt oder gesurft, und was man nicht alles am Meer machen und essen kann. Ich fand Blaise Pascals Satz, dass  „das ganze Unglück der Menschen allein daher rührt, dass sie nicht ruhig in einem Zimmer zu bleiben vermögen“ nie sehr angesprochen, hatte aber meine eigene Version parat. Die bestand aus beständigen Bewohnern von Häusern überall in der Welt, die WeltwanderInnen willkommen heißen würden, sozusagen als Televisionsprogramme, die die Nachrichten allen zugängig machen würden. Man säße beieinander, die NeuigkeitvermittlerInnen bekämen Bett und Frühstück und was zum essen (Grundeinkommen) und soweiter. Aber wandernde GeschichtenerzählerInnen gab es auch schon, ich hoffe, ein paar „*Innens“ waren dabei, ansonsten kann man sich in Nüchternheit üben. Tag der Meere (heute), und ja!, beliebt und gerühmt sind sie, die Ozeane, und das zurecht. Denn kein Mensch wird je ihre wahren Tiefen ausloten können, auch wenn des Menschen Plastik vermutlich dort hingelangt. Ansonsten haben wir so ziemlich alle im Lockdown eine eigene Erfahrung des Hierseins gemacht. Wer sich allerdings fühlte, als würde er oder sie zum Hiersein gezwungen werden, weil man lieber dort wäre, wo Hingehen nicht möglich war, der oder die konnte es dann natürlich nicht genießen.

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