kippen

Was meint man, wenn man (auch) das Gefühl hat, dass etwas kippt? Ich konnte diese Bemerkung einer Moderatorin jedenfalls innerlich bejahen, denn ich hatte auch das Gefühl, dass eine schwer zu benennende Unruhe sich in das globale Bewusstsein einschleicht oder schon eingeschlichen hat, nicht aus einer einheitlichen Quelle, sondern aus vielen Quellen gespeist, die wiederum ein Thema haben wie ‚was wird aus uns nach diesem Abgeschiedensein, dieser Kontaktbeschränkung, diesen Zwangsauflagen‘ (u.s.w.), wenn eines Tages, der ja kommen muss (?), das andere Leben wieder vorherrscht, das sich in der Zwischenzeit allerdings genauso gründlich gewandelt hat wie wir, in inneren und äußeren Zoomkonferenzen beschäftigt. Und immer wieder mal ein Entstauben und Schleifen der Navigationsinstrumente, und ein Entschärfen des Sprachapparates, denn  wer wollte behaupten, er oder sie seien immun geworden gegen die Wirkung des subatomaren Stromes. Und nach wie vor, oder besonders in einer Krise, kommt es an auf den Blick, den ich auf die Vorgänge lege, und wo oder wie etwas Aufgenommenes mich förderlich beeinflusst, und wo nicht. Man muss nicht zuschauen, wenn Andere in Leid verwickelt sind, außer man hat etwas damit zu tun und kann sehen, wo Begleitung hilfreich sein kann. Aber wo kippt es? Wenn die Kinder vom Staat erwarten, dass sie es besser machen und den einleuchtenden Kompass vorführen, dann sind sie irgendwann enttäuscht, weil die nun zu ‚Oben‘ Deklarierten nicht richtig funktionieren. Stimmt, wie sollen sie, sie rätseln ja auch herum mittendrin in der Misere, und überall brennen die Räder der Streitgespräche. Da man einander braucht, hält man die Zungen im Zaum. Oder nicht, und auf einmal läuft das halbe Volk auf den Straßen und wehrt sich gegen das Vorgeschriebene. Dann fängt das Gebilde an zu kippen. Ist ja alles (nur) Konstrukt, das von KonstrukteurInnen dekonstruiert werden kann. Und tue das, wer kann. Neulich haben wir ein Poster mit Sprüchen vom Dalai Lama geschenkt bekommen (erfrischend klug und weise), wovon einer sagte, man solle die Gesetze gut lernen, damit man sie angemessen brechen kann. Natürlich muss man die Situation einschätzen lernen und kann blitzschnell naiv werden, wenn ich meine, ich müsste Maskenlosigkeit demonstrieren. Wenn etwas bereits am Kippen ist, kippt es meist unaufhörlich und kann zu allerlei extremen Resultaten führen. Ein gutes Gegengewicht (soweit),  verfügbar, ist die Gelassenheit. Ein gewisses Distancing zum Sensationellen. Ein Erkennen der menschlichen Vorgehensweise, wenn auch medial  beleuchtet auf Flatscreens, die wegschauen kaum mehr erlauben Man selbst vielleicht der Betrachter u n d die Flatscreen. Wo und wodurch findet Kippen bei m i r statt. Und wo befinde ich mich n a c h dem Gekipptsein. In meinem Erinnerungssektor taucht zuweilen der Satz auf, der hier als Fluch gemeint ist und dadurch erst verständlich wird und zu erfrischtem Grübeln anregt: ‚Mögest du in interessanten Zeiten leben‘. Vielleicht befinden wir uns nach dem Kippen in einem abgeriegelten Weltprogramm, in dem Freiheit gleichermaßen relativ ist wie Gefangensein. Aber war das nicht immer so?

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