Dritte Welle


Dritte Welle

An einem der vielen Orte, von denen man hoffte während der Lockdowns eine gründliche Ordnung herstellen zu können werden, oder werden zu können, fand ich also ein zerknülltes Papier, in dem sich diese Augen befanden, die man im Bild effektiv eingesetzt sieht. Ungern sehe ich den offensichtlichen Zusammenhang zwischen (meinem) Bild und (meinem) Text, aber es kann natürlich vorkommen, dass genau d a s passiert. Die Augen habe ich einmal in einem indischen Bazaar erstanden, es war nicht leicht, denn ich musste erklären, Bleichgesicht, die ich bin, wozu ich sie zu gebrauchen denke. Natürlich hätte ich nicht mit Verständnis rechnen können, wenn ich  erzählt hätte, dass ich die Augen für eine Puppenspielerin besorge, wo man sie sich in allerlei Figuren vorstellen kann, je nachdem, wie man sie in Weite und Enge in Beziehung setzt. Aber ich wusste ja, was erwartet war und meinte, es sei für eine ‚Murti‘, also eine Gottheitenfigur, das öffnete das Tor. Natürlich nicht wirklich, denn wäre ich nicht schon über 30 Jahre fast täglich an dem Ladenbesitzer vorbeigegangen, hätte er sie mir vermutlich nicht verkauft, ließ er mich subtexttechnisch wissen. Es sind tatsächlich die Augenpaare, die meist von Priestern erworben werden oder den Künstlern, die verkörperte Gottheiten herstellen. Es sind also Gottheitenaugenpaare, und vielleicht sind sie noch nie in weltlichen Zusammenhängen angewandt worden. So stellt das Bild in gewisser Weise eine Uraufführung dar im weltlichen Bereich.  Das schwarze Tuch ist eine der schönen Masken , die man jetzt nicht mehr tragen soll, weil sie nicht medizinisch ist, also echter Stoff, und das Bild braucht noch einen Titel, nennen wir es mal: Die Dritte Welle. Das Bewusstsein macht einiges durch und erspürt angestrengt oder angeregt die verbleibenden Freiräume, in denen man sich selbst ein Bild machen kann. Den Text dazu kann man auch liefern. Die Anzahl der Welten, in die man geistig reisen kann, ist ja so gut wie unbegrenzt, was es nicht einfacher macht, sich für den Nu an sich zu entscheiden, da ich nur hier bei der Gestaltung bewusst teilnehmen kann. Wie gesagt: Es gibt niemanden, der berechtigt ist, ein Opfer von Anderen zu erwarten. Da, wo die Erwartung der Opferhaltung auf der Tagesordnung steht, verstummen die Gesänge, doch auch d a lernt der Mensch noch, wer er ist und wer er nicht ist, und was er oder sie dachte, was eigentlich gar nicht der Fall war, dafür aber anderes sich auftat. Vor ein paar Tagen hatte ich die Gelegenheit, ein Buch von Levinas irgendwo aufzuschlagen, um mir einen, wenn auch noch so flüchtigen, Einblick in sein Denken zu gewähren. Auf der aufgeschlagenen Seite sprach und sprang mich ein Satz an, sodass ich den Stift brauchte, um ihn zu notieren. Es ist einer der Sätze, die man zwar inhaltlich einigermaßen weitergeben kann mit dem, was man davon zu verstehen meint, aber es ist die Präzision des Satzbaus, die einem unwiderruflich etwas verständlich macht. Jetzt kommt der Satz. Er hat nichts mit der dritten Welle zu tun, ist aber a u c h nicht leicht zu erfassen. (Gerne).

Eine sinnvolle Welt ist eine Welt, in der es den Anderen gibt, durch
den die Welt meines Genusses Thema wird, das eine Bedeutung  hat.
(Emmanuel Levinas)


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