verbinden


Die zeitlose Praxis des Erfassens schwindender Erinnerung
Eine der vielen heiteren Erinnerungen an Indien ist, dass ich mit den dort verbrachten Jahren lernen konnte, wie sehr die Menschen durch Tradition, Gewohnheit, oder aber mit den klimatischen Verhältnissen  (noch) verbunden waren. Man konnte zum Beispiel davon ausgehen, dass, schien einmal drei Tage hinter einander nicht die Sonne, alle zugeknöpft und grau drauf waren, und am besten, man ging wenig raus, bis es vorbei war. Der Monsoon war anders als nur niesliges Grau, er war aufregend und wild, und vor allem brachte er erwünschtes Wasser. Ich sage er ‚brachte‘, denn viele Jahre brachte er gar nichts mehr außer Schrecken und Not, und vor allem Angst, der Wasserzufluss könnte ganz und gar aufhören. Das geschah dann auch. Und wenn ich’s recht bedenke, wussten wir alle da schon, dass eine andere Zeit angebrochen war. Das alte Gefüge hielt nicht mehr stand, überall erschienen Lücken im Gewebe des Seins. Es gab kaum mehr gemeinsames Gedankengut außer durch die leerer werdenden Rituale, ja, die hielten noch lange und halten auch heute noch an. Dann die aus verschiedenen Gründen berühmten Wissensbewahrer und auch einige Wissensbewahrerinnen waren dabei, kein Zweifel, die sich mehr und mehr auf die ausländischen Lernbegierigen konzentrierten, das veränderte auch sehr viel im moralischen und ethischen Gewebe, kurz, die Zeichen waren so ziemlich überall zu sehen, man musste sie nur als solche wahrnehmen. In Indien ist das nicht so schwer, denn was auch noch alle wissen ist, dass man diesen Zeitstreifen, durch den wir gerade segeln, das dunkle Zeitalter nennt, da passt so ziemlich alles rein, was einem so an Unbeschreibbarem auffällt, weil es vorher noch nicht ans Licht des Tages gekommen war. Und oft weiß man ja nicht, was in einem Vorher alles schon tief innen da war, was dann aus seiner Verbannung gelockt oder gelockert wird und sich Bahn bricht, weil dieser Moment auf eine  Möglichkeit stößt, eine Entsprechung. Nun kann man vieles, was sich im Inneren der Menschheit abspielt, nur begrenzt auf irgendeinen Punkt bringen, denn in letzter Konsequenz ist jeder Punkt anders und die Menschheit unter anderem auch ein intergalaktisches Konstellationsprogramm, und jede/r sendet auf seine oder ihre Weise. Nun hat der globale Lockdown uns auf denkwürdigste Weise in eine Art einheitliche Sperrung gebracht, oder besser eine Sperrigkeit, eben die Downlockung einer besonderen Art, und man fühlt vielleicht zuweilen mehr (mit) als vorher, wie es vielen geht, weil es einem selbst auch so geht. Immer wieder wird das Entlassen von Wellen erhofft und erwünscht, und nun kommen neue Gefahren hinzu, die auf einmal alle fast gleichermaßen betreffen. Wie, jetzt auch noch die Kinder und immer mehr Jugendliche krank, dann aber auch die gesunde Frage, wie verrückt ich mich machen lassen muss und möchte, also wie gestalte ich meine eigene, ganz persönliche Handhabung der Umstände, damit, und das in jeder Situation, erhalten bleibt, was ich für wesentlich empfinde. Dafür gibt es ja zum Glück keine Normen, denn wer sollte mich hindern an der Erschließung meines eigenen Lockdowns?

Leave a Reply

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert