schöpfen

Wir hatten ja auch so um den Freitag herum gehört, dass am Samstag die Sonne scheinen sollte, wer will das verpassen, und fuhren sogar in die Stadt, wohl ahnend, dass sich dort ein Großteil der Bevölkerung tummeln würde. Und wahrlich, es standen lange, vor ungewohntem Geduldszwang vibrierende Menschen vor hippen Läden, um dort noch Wünschenswertes zu sich zu holen, falls es nach dem neuen Lockdown nicht mehr da sein würde, oder jemand anderes hätte es zu sich genommen, also weg von einem selbst. Wir hielten auch Ausschau und ich war froh, endlich zu dem Laden zu gelangen, in dem die Hoffnung auf praktische, wasserundurchlässige und trotzdem halbwegs elegante Winterstiefel in meinem Geist einen Anker geworfen hatte, aber siehe da!, er war gar nicht mehr da, der berühmte Laden, wie kann das sein, das waren doch best of best shoes. Na ja, was soll’s, so als wüsste man nicht, dass alles vergeht, auch Schuhgeschäfte. Wir pilgerten ein bisschen weiter hinein in den geschäftigen Taumel. Irgendwo in der Mitte stand ein Ordnungsbeamter, aha, hier muss man sich verschleiern wegen der Vielzahl der Anwesenden, wenn man anwesend mit existenzberechtigt gleichsetzt. Auch ich morphte unauffällig in meine pure Existenzberechtigung hinein und es war mir dadurch möglich, das ungehemmte Nichts der Wünschbarkeit durch mich hindurchströmen zu lassen, ich hatte ja keine Wahl, es war überall. Mein Blick rangelte sich hoch zu einer Wand,  wo mit großen, bunten Lettern der umwerfende Satz stand: Kauf dich glücklich.  Kursiv gedruckt macht er sich noch besser, das schlichte Verführungsmantra, mit dem bereits ganze Kulturen ins Nichts befördert wurden. Aber wenn das Nichts nun einmal wirklich da ist, dann ist ja auch das, was man unter Kultur versteht, nicht mehr da. Trotzdem geht es weiter und lebt von seinen und ihren Überraschungsausbrüchen. Von den Orgien des Staunenswerten, von der stillen Denkakrobatik und von der Fähigkeit, den Schalter auf ‚autonom‘ zu stellen, um selbst im Angesicht des Unerträglichen das Tragbare einschätzen zu lernen, wozu man die Freiheit des Handelns benötigt. Das Einfache hat eigene Wege, zum Vorschein zu kommen, wo es seine Leuchtkraft entfalten kann, wenn es das möchte. Und glücklich von einem gelungenen Einkauf zurück zu kommen, das kennt doch jede/r, das ist auch nochmal was anderes als sich glücklich kaufen. Fein ist die Linie zwischen den Dingen, und nicht immer kann man die Henne mit dem Ei in einen Topf werfen. Das möchte ich jetzt wieder rückgängig machen, wenn’s noch geht, nehme also die Henne noch mal raus und das Ei auch und werfe sie eben nicht in einen Topf, sondern sie können hingehen, wo sie möchten. Dann standen noch in der Nähe des Ordnungsbeamten zwei im üblichen Harley Davidson Alter Outfit sich befindende Männer auf ihren Maschinen mit laut vor sich hinbrausenden Motoren. Diesselben Männer, diesmal auf Royal Enfields, kenne ich aus Indien. Sie kommen  aus aller Herren Länder als Tausendlinge immer im selben Alter mit denselben Haaren und demselben Bart an einem vorbei und man ahnt jenseits des Bewusstseinsvorgangs, dass sie sich richtig mächtig fühlen und zweifelsfrei wissen, dass jedes Auge neidisch an ihrer Manifestation hängen muss. Natürlich gibt es noch Schlupflöcher, wo man dem Müssen und Dürfen entkommen kann, aber niemand weiß, wie lange das noch dauert, weil es gerade das Nichtwissen selbst ist, dass sich virenmäßig ausbreitet. Und man kann davon ausgehen, dass das Vorher, falls es das wirklich gab, in einem Nachher, wenn das folgte, einfach verschwunden ist, und da sitzen wir nun mit den paar Erlaubten herum und können aus dem Vollen schöpfen. Oder etwa nicht?

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