natürlich

Es gibt Worte, aus deren Befangenheit man sich lösen muss, zum Beispiel, wenn man merkt, dass man sie überladen hat mit zu viel Deutung oder Bedeutung oder einer intuitiven Ablehnung, die man sich noch nicht selbst erklärt hat. Es ist gleichgültig, ob das Wort mit positiver oder negativer Meinung belastet ist, denn es schadet nicht, sich beide Arten anzuschauen. Ich fand schon seit meiner frühen Jugend das Wort „natürlich“ als unangenehm, und es zeigte sich auch deutlich, dass ich vermutlich nie als ein…hier fängt es schon an, schwierig zu werden, also als ein natürlicher Mensch, denke ich, konnte ich schon erfahren werden, aber sagen wir mal, dass ich mich selbst nie als eine „natürliche“ Frau“ gesehen habe, heißt, nicht der zeitgemäßen Vorstellung des Natürlichen in der Gesellschaft entsprochen und mich dementsprechend verpflichtet gefühlt habe. Nun sind die rebellischen Jahre ja meist nicht auf „Natürlichem“ aufgebaut, und es zeigt sich, immer im Wandel der Zeiten, wer jemand ist oder nicht ist. Diesen ständigen Wandel zum Beispiel kann man „natürlich“ nennen, denn er kommt daher wie die Jahreszeiten, man kann sich auf die ständige Verwandlung verlassen. Auch das Bemühen um ein Verstehen anderer Kulturen kann einen lehren, wie relativ und gesellschaftsgebunden die Begriffe sind, von denen wir ausgehen, als könnten sie übertragen werden auf einander. Nun kann man den Menschen als eine natürliche Erscheinung inmitten des jeweils Daseienden sehen, so wie Tiere und Pflanzen und Erdöl, obwohl man vom Erdöl wenig wüsste, würde man ein „einfaches“ Leben leben, aber was ist „einfach. Wenn Menschen gezwungen werden durch die Umstände, sich extrem einzuschränken, erzeugt das sicherlich keine Lebensfreude, während dasselbe für einen Mönch unter Umständen ekstatische Gefühle erzeugen kann. Wenn jemand ein paar Tage nicht an Essen herankommt, kann dieser Mensch schon aus Angst zugrunde gehen, während es für Muslime einen gottausgerichteten Stolz auslösen kann, während des Ramadans zumindest tagsüber weder zu essen noch zu trinken (und sich sexuell zu enthalten, was für manche Frauen in dieser Gesellschaft sicherlich ein heimliches Freudenfest ist), obwohl es bemerkenswert ist, wie viel Essen sie verschlingen, wenn es erlaubt ist. Sehr ungesund das Ganze und kommt einem nicht so natürlich vor. Vielleicht gibt es eine Art natürlicher, heißt hier wohlwollender  Ausrichtung auf die erstaunliche Vielfalt, die sich überall und immer erhebt und Anspruch darauf legt, als natürlich zu gelten. Das Färben und Bemalen der Haut, tellerartige Unterlippen, der gebundene Fuß, das Ritzen der Haut als Verschönerung des Körpers. Einmal wurde ich in Los Angeles zu einer Party eingeladen, bei der mir alle Anwesenden unheimlich und unnatürlich vorkamen. Als ich es meinem Gastgeber zögernd mitteilte, nickte er verständnisvoll und meinte, klar, ich wäre es wahrscheinlich nicht gewohnt, mich unter Facegelifteten, Männern wie Frauen, zu bewegen, das sei hier „normal“. Man fände es eher unnatürlich, dieses Angebot nicht wahrzunehmen. Im indischen Dorf, wenn ich manchmal im Bazaar einen Tee trinke, kann ich gut beobachten, wie natürlich und normal sich alle vorkommen, egal, mit welchen Trachten und modischen Auswüchsen alle unterwegs sind, oft natürlich auch das „Anders“ beäugend als etwas, was der vertrauten Norm nicht entspricht. Eine vergewaltigte Frau mit ihrem Vergewaltiger verheiraten, damit ihre Ehre wieder hergestellt wird. Wer stellt her? Und wer entscheidet? Eine Frage könnte auch sein, ob bei Aktivierung eines eigenen Bewusstseins  als Instrument der persönlichen Ausrichtung von einer Natürlichkeit vielleicht gar nicht mehr die Rede sein kann, sondern eher von der Möglichkeit, einen Begriff immer neu zu verstehen im Rahmen gesellschaftlicher Bedingungen und eines nationalen Gedankenguts. Dann kann man sich (natürlich)  durch Reflektionen darüber ein eigenes Bild machen, um es mit dem bestehenden Weltbild auszuloten und es unter gewissen Umständen und Bedingungen auch in einen Einklang zu bringen.

Das Bild oben habe ich nicht bewusst gemalt, sondern auf einer
von mir gepinselten Fläche gesehen, nachdem es schon fertig war.
Vielleicht gefällt es mir, weil es auf natürliche Weise erschienen ist
und etwas von mir in sich trägt, das ich, zumindest s o, nicht hätte ausdrücken können.


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