„Ratri“ heißt „Nacht“, also die Nacht von Shiva, und die liegt bereits hinter uns..gestern abend also: rastloses Herumirren ist zu beobachten zwischen Foreigners und Indern. Was tut man in dieser Nacht? Sitzt man irgendwo bis morgens dabei und wankt dann erkältet (die Nächte sind immer noch kalt) zurück ins Hotelzimmer? Dann werden heftig und öffentlich Chillums geraucht und Bang wird genommen, unter dem Ladentisch kommen freie Päckchen hervor…man will ja vor dem großzügigen Herrn nicht kleinlich erscheinen. Und man muss durchhalten! Ja, wer ist „man“? Ich werde überall gefragt, wo ich denn hingehe, und immer sage ich was anderes, damit ich nirgendwo vermisst oder erwartet werde. Ich mache schon seit Jahren diese Nacht nicht mehr durch. Als ich selbst ein Sadhu bzw. eine Sadhni war, saß ich jedes Jahr in Hochspannung an irgenmdeiner Dhuni, dem Feuer, das meist von Shivaiten gehütet wird, und wurde angefeuert, wach zu bleiben für „Nataraj“, also Shiva als kosmischer Tänzer, von dessen Haarpracht u.a. alles Wissen über Musik, Tanz und überhaupt die Künste fließt. Wir sollten also hellwach sein in der Nacht für den Herrn der Unschuldigen, denn wir waren ja seine besten Freunde, ihm leidenschaftlich zugetan. Um 22 Uhr herum waren dann alle zugedröhnt genug, um zu schlafen. Oft war ich tatsächlich die Einzige, die noch wach war, und damals wusste ich auch, warum. Was waren das „wunderbare“ Zeiten im wahrsten Sinn des Wortes, wo ich selbst das alles so ernst nehmen konnte! Unter den Göttern einen Shiva zu treffen war für viele von uns Westler eine wirkliche Befreiung nach dem bedrückenden Schuld-und Leidprogramm der christlichen Welt. Shiva! Yogi und Liebhaber! Selbst auf der höchsten, meditativen Ebene kein Hauch von Verlust an erotischer Ausstrahlung (siehe Bild). Ein resonnierendes Gegenüber (?!), das meinte ich oft nüchtern gecheckt zu haben, weil ich ihn manchmal lachen hörte, wenn ich tierisch ernst drauf war. Wer hat gelacht? Keine Ahnung, wie es funktioniert, aber ich muss sagen: es hat(te) was!! Vielleicht ist es nur der Name, der so geladen ist mit all den Energien, die in ihm gebündelt werden. Auch heute früh so um 7 Uhr herum, ich war auch früher draußen als sonst, fließen schon aus den am Wasser liegenden Tempeln Ströme von Milch und Butter (Ghee) in den See. Auf dem Markt werden Tüten der Shiva-Offerings verkauft mit den seltsamsten Dingen drin: Kushi Gras, Blätter vom Bel Baum, Karotten, Disteln und die Akh Blume, klein und nicht wohlriechend. So wie Jesus angeblich das Kreuz für uns trägt, so isst Shiva das Gift, deswegen heißt er auch „Nilkantmahadev“, der große Gott mit der blauen Kehle. Das Zeug wird also zu ihm gtebracht, das heißt zu seinem Lingam, dem phallischen Symbol, das grenzenlose Deutung erfährt. Man verlernt in Indien schnell, sich in präzise Meinungen zu versteifen, denn sie helfen eh nicht und tragen auch nichts bei. Da Inder nicht die Gewohnheit haben, etwas infrage zu stellen, strömt das alles vor sich hin mitten durchs Paradoxe, Absurde und Widersprüchliche, das fällt nicht weiter auf, und der „warum?“ fragende Foreigner wünscht schnell, er hätte nie was gefragt, denn auch in den Antworten strömt es munter vor sich hin, als hätte nie einer unter ihnen über irgendwas alleine nachgedacht. In der Geschichte von Brahma, dem Schöpfer und seinem brahmanischen Eröffnungsritual für seinen eigenen Ort spielt Shiva die Rolle des Störenfrieds, der z.B.mal die Heiligkeit des Vorgangs mit ein paar reingeschleuderten Totenköpfen verunreinigt. Seine Tempel sind auch das ganze Jahr eher underground, und nur an Shiva Ratri ist dort so viel los, dass gegen Nachmittag von den vielen Geschenken ein Sumpf entsteht, durch den gewatet werden muss. Na ja, ich wate nicht mehr. Mein Shiva-Bewußtsein hat eine kosmische Transzendenz erfahren, die ich selbst so verblüffend finde, dass mir die Worte dafür fehlen. Sollen sie! Ja, was war noch so phantastisch an ihm? Unter den Foreigners war zu beobachten, dass Frauen und Männer ihn gleichermaßen liebten, und jede/r wurde natürlich vom eigenen Shiva mächtig zurückgeliebt, und man wurde als sich selbst geliebt ohne Bedingungen und Moralaposteleien. Einmal hat er bei einem Liebesspiel mit irgendeiner der Göttinnen, die stets als die „Eine“ verklickert werden, zu ihrer Unterhaltung die ganze Umgebung ins Weibliche verwandelt(!?). Dann gibt es ein Bild von ihm, fast hätte ich Photo gesagt, da ist er „Ardhana Ishwara, halb Mann, halb Frau als Verkörperung des Nicht-Dualen. Beeindruckend! Wie kam es zustande? Durch die Kraft, die hinter diesem Prinzip verdichtet ist, hatte auch ich die Kraft, ziemlich massive Hindernisse unbeschadet zu durchqueren und Anspruch zu erheben auf eine Lebensweise, die nur hier möglich war: in der Nähe der Asche, geschützt durch die unbändige Energie des Unkonventionellen. Ja, schöne und wilde Jahre. Aus Dank habe ich heute dem Unschuldigen Herrn auch eine Blumen-Mala gekauft. Dort drüben liegt sie um einen der wenigen Lingams herum, die ganz im Freien stehen.
Dann ging ich später ein paar Jahre in eine Meditations-und Yogapraxis, die hatte als Kernpunkt auch Shiva. Hier war er Punkt und kosmisches Ei und die alles durchwehende Energie des universellen Bewusstseins. Das war auch gut in seiner stocknüchternen Abstraktion, bis auch das ausebbte.
Ich aber: immer noch liebend und auch geliebt. Eben: das transzendente Geheimnis und das ganz und gar Unkonventionelle als seine inhärente Bedingung, dafür muss man geeignet sein. Das offene Gehimnis liegt mir am Herzen.