denken


Das erwachende Auge der Hippeastrum
Man darf sich ja freizügig und uneingeschränkt wundern, dass allen Menschen erwiesenermaßen ständig etwas im Kopf herumgeht, ohne dass der bewusste Zugang dazu gewährleistet ist. Dieses herumirrende Etwas, dass das Innere von Köpfen gerne begleitet, kann man nicht unbedingt Denken nennen. Vielleicht kann man dadurch unterscheiden, wenn man „es denkt in mir“ sagt im Gegensatz zu „ich denke“.  Wenn ich denke, ist es schon immer an etwas geknüpft, das gilt auch für oberflächliches Denken. Oberfläche jetzt im Sinne der Weltwahrnehmung: alles was ich denke, wenn ich was sehe oder höre und mich damit beschäftige. Wenn ich ein Reh im Garten sehe, kann ich anfangen, über Rehe nachzudenken, weil es sich durch das Bild angeboten hat. Und entdeckt man eine gewisse Freude an dieser Forschung, kann man ja auch was lernen. Allerdings kann man sich durch Weltanschauung auch ständig ablenken von dem, was  ich eigentlich denke. Dazu muss ich wissen, ob ich „eigentlich“ überhaupt was denke, also etwas, was aus meiner eigenen Quelle kommt und direkt mit meinem Bedürfnis oder noch besser mit meiner Gewohnheit gekoppelt ist, mit mir und meinem Denken verbunden. Also zu wissen, was mich beschäftigt und bewegt, und ob mir dieses Denken, in dem ich mich bewege, überhaupt gut tut oder meine Befindlichkeit eher beunruhigt. In Indien gab es oder gibt es vielleicht noch in den geistigen Schulen eine Überzeugung, dass man es schaffen kann, das Denken zu lassen und gerade dadurch in den Raum des Seins einzutreten. Einen Nu lang kann einem das absolut einleuchten, vor allem, wenn man beides zur Verfügung hat, eben das Denken und das Nicht-Denken. Ich habe auch in Indien niemanden getroffen, der diese exzellente Balance erreicht hätte. Sri Aurobindo, einer der großen indischen Philosophen, erzählte, dass sein Mentor ihn eines Tages aufforderte, das Denken zu lassen, und vermutlich hat er ihm auch den Trick verraten, den man selbst ausprobieren kann. Man konzentriert sich also nicht auf die Worte, sondern auf die Lücken dazwischen, auf die leeren Zwischenräume, die man dann durch Übung erweitert, bis man es eben schafft, keine Worte mehr zu denken. Aurobindo hat sich angeblich sofort an die Arbeit gemacht und behauptet, es in drei Tagen mühevoller Konzentration geschafft zu haben. Zweifellos war ihm diese Yoga Übung behilflich, später seine philosophischen Werke klar zu vermitteln, zumindest verständlich für Interessierte oder Praktizierende oder Eingeweihte. Es ist von unermesslicher Bedeutung, mit was ich mich gedanklich befasse, denn das ist der andere Weg, Klarheit in die eigene Gedankenwelt zu bringen: man konzentriert sich auf sie, will sie kennenlernen, sie herauslocken aus ihrem affenartigen Herumstreunen, und kann ihnen dann beibringen, was ich von ihnen möchte. Schließlich sind es meine Gedanken, und es ist doch ungeheuerlich, dass ich nicht informiert bin, was in meiner eigenen Dachstube los ist. Auch fehlt m.E. nach dem sicherlich bedeutungsvollen Satz von Descartes „Ich denke, also bin ich“ noch eine weitere Nuance, die man vielleicht „Ich bin, also bin ich“ nennen könnte im Sinne, dass Sein nur durch Sein erfahren werden kann und das Denken dabei nicht unbegrenzt die Hauptrolle spielt. Ich denke, man muss sich um beides bemühen: um den Zugang zum Denken, und um den Zugang zum Nicht-Denken, beides nur durch bewusste Aufmerksamkeit zu erreichen, durch wahrnehmende Übung also.

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