Wellen


Rot aus dem japanischen Tuschkasten
Echt jetzt also!, warten „wir“ nicht mehr auf die vierte Welle, sondern sind bereits in ihr, Jugendliche und Ungeimpfte landen auf den Intensivstationen (wird gesagt), und überhaupt steht vielerorts die Welt in Flammen oder der ganze Schweiß, den man in den Hausbau gesteckt hat, schwimmt sinnlos hinweg mit den Fluten. Und inmitten all dieses planetarischen Katastrophen-Szenarios bin ich immer wieder mal froh gewesen, dass hier bei uns eben keine unheimlichen Hitzegrade am Werk waren, denn aus den Wurzeln meiner ganz persönlichen Geschichte heraus habe ich Angst vor Feuer, und wir wohnen praktisch am Waldrand und nicht weit entfernt von Baumstämmen, die nach der Borkenkäferfraßorgie so trocken sind wie Streichhölzer. Immer wieder mal erscheint eine nackte Realität an der eigenen Türe, nicht, dass es allzu viele schick gekleidete Realitäten gibt. So ist es sicherlich in ganz bestimmten Zeiten dringlicher zu schauen, wo sich die eigenen Ängste verbergen, sodass man sie herauslocken kann und ihre Spuren finden und nachvollziehen. Fakt ist, dass man sich eine Katastrophe ja gar nicht vorstellen kann, und selbst, wenn man mittendrin ist, kann man es sich wahrscheinlich am wenigstens vorstellen, denn da stellt sich ja nichts vor, sondern da ist was, mit dem man umgehen muss. Trotzdem habe ich tatsächlich irgendwann letztes Jahr ein schon existierendes Täschchen in die Nähe (des Schreibtischs) gebracht, in dem zur Zeit nur das schon Übliche steckt, der Pass, ein paar Euros und noch viel mehr Rupien, und ein exzellentes indisches Gerät (Jio), groß wie eine Puderdose, mit dem ich besten Internetempfang hatte. Betonung auf hatte, denn je langer die Wellen dauern, desto mehr entschwindet mein Indien, von dem ich mich allerdings, o Wunder der Eingebung, bereits verabschiedet habe. Trotzdem nimmt sich die Trauer immer mal wieder Raum, dann starre ich eine Weile in ein Etwas, das nicht einmal mehr der Wüste gleicht, sondern eher einem sterneverschlingenden Wurmloch, von dem man nicht genug weiß, um ahnen zu können, wo das alles hingeht. Denn obwohl die totale Bedeutungslosigkeit der eigenen Existenz im Kontext des universellen Geschehens selbstverständlch ist, so ist es ausschließlich dieses Verstehen des Selbst oder Ichs oder wie auch immer man das, was man ist, nennen will, das den ganzen Unterschied macht, ähnlich wie bei Wahlen, bei denen eine einzige Stimme den ganzen Unterschied machen kann. Und noch heute fallen mir wichtige Fragen ein, die ich gerne meinen Eltern gestellt haben würden hätte. Zum Beispiel, wie sie das Unheimliche, das im Land schon lange vor dem Morden herumging, selbst erfahren haben, und wann und wie haben sie miteinander darüber geredet. Mein Vater, obwohl (als Chemiker und Ohysiker) u.k. gestellt bis vier Tage vor dem Kriegsende, musste zusammen mit meiner Mutter und uns das Haus in Berlin verlassen und sein Labor irgendwo auf dem Land wieder aufbauen. Allerdings nicht lange, denn er kam gar nicht zurück. So gibt es in mir immer noch die Angst vor der Feuersbrunst, die Menschen an Wände geworfen und dort verbrannt hat. Dann der Einbruch des Winters, als alles mit tiefem Schnee bedeckt war, hörte ich in den berühmten Anekdoten, in denen sich das Unfassbare in die Gehirnwindungen der ProtagonistInnen schreibt und dort lagert oder lauert, bis man die Kraft hat, es an sich zu nehmen. Denn selbst im Mutterleib ist man schon dabei, wenn gemordet wird. Und wenn man als Kind schon eine Maske trägt, dann trägt man u.a, auch das Schicksal der Erde und das, was damit verbunden ist.

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