harmonisch

Wer erinnert sich nicht daran, als die schöne, Zahl 2020 sich aus dem Zeitlosen herauskristallisierte und weltweit das Gefühl vermittelte, hier etwas Ausgeglichenem begegnen zu können. Keine schwierige Neun oder eine stramme Eins, oder was es sonst noch im Ozean des Vergänglichen schon alles an die Ufer der Zahlenverbindungen geschwemmt hatte, nein, sondern das duale System schien wie gelöst durch diese feine Kombination und gerne schrieb man es zum ersten Mal, eine Zwanzig eben genau neben einer weiteren Zwanzig. Das machte Sinn, das versprach harmonisches Gegenüber und Entwirrung des Komplizierten und Verzwickten. Die Illusion der Harmonie, wie wir sie jetzt erleben? Eigentlich kam so ziemlich alles anders, als man es erwartet hatte, aber kam es wirklich so anders? Auch die Gesellschaft der Viren ist ja nicht neu, nur mit diesem lief und läuft es noch immer anders, wer auch immer geistig daran gehäkelt hat. Diesen seltsamen Ausbruch kann man nun nicht wirklich ‚harmonisch‘ nennen, sondern es scheint eher die potentiellen Harmonien auszuhebeln, keine Konzerte, keine Museen, keine Kunst. Oder doch Kunst, neue Kunst, vom Geschehen inspirierte Kunst?, und mächtig viel Bewegung an den Herrscherthronen, denn wohin mit der narzisstischen Verliebtheit, kein Arzt in Sicht, nicht einmal ein Wille zur Therapiebehandlung, und keiner, der wirklich noch vorgibt zu wissen, wo’s langgeht. Im Kontext eines anregenden Gedankens kann man das entstandene Chaos aber durchaus als einen Pfad zu ausgleichenden Kräften sehen. Denn hat so ein außergewöhnliches Erleben, von dem sich ausnahmsweise niemand distanzieren kann, da sein Erscheinen zu präsent ist, hat es also einmal seine Wirkung entfaltet und jedes Gehirn zum Ackern gebracht, dann kann man auf einmal sehen, dass auch das sehnlichst wieder Herbeigewünschte, phantasiert als eine heilere Ordnung, gar nicht so eine heile Ordnung war. Ja, das Durchbrüten der ungelegten Eier, die sich in dunklen Korridoren des Geistes oft bis zum Lebensende unentdeckt stapeln  können, wird nun angeregt von diesem ganzen planetarischen Prozess, und allerhand verborgen Chaotisches schleicht sich unvermutet in die Besinnung und fordert dort eine angemessene Handhabung, angemessen als das jeweils Mögliche, und das jeweils Bewusste, und das Gewollte. Und viel Überraschendes ist passiert, das kann man nicht leugnen. Zum Beispiel die auffallende Schnelligkeit, mit der neue Gesetze möglich werden, Geldmassen zustande kommen, Lebenshilfen gewährleistet werden können. Und da es auch noch einen virusrelevanten Schub in der digitalen Revolution gibt, gelingt es keinem mehr, die rasante Schnelligkeit der Neugeburten zu erfassen, nicht, dass man es vorher konnte, nur weiß man es jetzt. Hier ordnet sich etwas nahezu automatisch, und man kann geduldig des Weges gehen, bis Ergebnisse sichtbar werden: an sich selbst, an den Anderen, an der Welt. Das Wort ‚harmonisch‘ kam mir immer verdächtig vor. So erstrebenswert die Vorstellung auch immer schien, oder die angeblichen Ziele der Lehren in dieser Richtung vorstellbar waren, oder die Kraft der Vorgaukelungen einem passabel vorkamen, so fehlte doch immer etwas dabei. Es ist das Chaos des Materials, das man in jeder Hinsicht und in jedem Moment ordnen und zulassen muss oder kann, und das sich ganz ausgezeichnet eignet für das Formieren eigener Gedanken und dem immer wieder aufs Neue Anspruch erhebenden Schöpfungsprozess, der seine Quelle im eigenen Urgrund hat (wiederum eine Art Leere, die die Form im Keim enthält).

 


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