lesen

Als die Coronafahrt in die Gänge kam, dachte ich, ich würde ganz viel lesen, und bald lagen um mich herum die Juwelen meiner Klein-aber-fein-Bibliothek, die ich endlich mal, oder zu Ende, oder noch einmal lesen wollte. Schon das Herumblättern und Mitkontemplieren auf den vielschichtigen Ebenen des Denkens ließ keinen Zweifel zurück, dass es überall um des Urrätsels Durchdringung ging, begleitet vom Geist der Autoren und Autorinnen. Das ist ja die Freude und der sich vergrößernde Reichtum des Bewusstseins, dass wir uns erholen und erfrischen können an den Denkweisen und dem Blick der Anderen. Inzwischen war mir dann aus dem Freundeskreis ein Buch von Bachtyar Ali ans Herz gelegt worden, und ich musste (leider) auf eine Amazon-Bestellung zugreifen, damit es zu mir kommen konnte. Ab und zu las ich dann ein paar Seiten darin und erfreute mich an der Sprache und den Geschichten, während draußen das Virus an den Grundfesten der Systeme rüttelte. Ich lebte ja schon in einem Garten, lebe mit Freunden in  individuellen Verbundenheiten und der Bemühung, dem ganzen schöpferischen Vorgang mit Aufmerksamkeit zu begegnen, und die Samen auch mal auf die Waagschale zu  legen, um zu lernen, was Maß und was maßlos ist. Und welche Wege zum Angemessenen führen, während an anderen Orten der Welt häßliche Dinge vor sich gehen, wer wollte es leugnen. Da öffne ich also gestern zum Weiterlesen dieses Buch genau an der Stelle, an der ich diese wunderbaren Sätze fand, die einerseits den Tod des schwarzen Mannes nicht minder schrecklich machten, aber dennoch eine weitere Wahrnehmungsmöglichkeit dazufügten, einen Blick, eine Einstellung, an der man sich laben konnte. Deswegen möchte ich Bachtyar Ali jetzt die Worte sprechen lassen, die mich selbst so erfreut haben:

‚Ich möchte dir etwas Wichtiges sagen: An die Gerechtigkeit habe ich nie geglaubt. Keine Gerechtigkeit, keine Rache auf dieser Welt kann je den Schmerz auslöschen, den ein unschuldiges Opfer erlitten hat. Ich glaube an etwas anderes: Ich glaube an Schönheit. Der Mensch kann nicht gerecht sein, aber er kann Schönheit erschaffen. Die größte Rache an den Ungerechtigkeiten der Welt ist, dass der Mensch ein Poet wird, Musik spielt, Gemälde malt, vor denen wir staunend stehen bleiben. Ein Dummkopf, wer darauf setzt, dass die Politiker ihm Recht verschaffen. Diese Dummköpfe haben die Welt zerstört’…’Weil der Mensch ein schwieriges, kompliziertes Wesen ist‘, sagte er, ‚gibt es nichts Leichtes auf diesem Planeten. Nur Torheit ist leicht, nur Blutvergießen und Herzlosigkeit sind einfach, alles andere ist schwer.‘ (Aus: Die Stadt der weißen Musiker).


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