stabil

Das Bild oben auf der rechten Seite ist ein Kunstobjekt in einer quadratischen Plexiglasumhüllung. das ich auf einer Kunstbuchmesse entdeckt und (mit eingeholter Erlaubnis) photographiert habe. Da das Zerfledderte reichlich kunstvoll aussah, hat es mich interessiert, welches Buch diesem Energieanfall und- einfall gedient hat. Ich musste mich ziemlich verrenken, um wenigstens e i n Wort auf der minimal sichtbaren Titelseite innerhalb des Buches zu erhaschen. Doch siehe da, es war das Wort ‚Abendland‘, woraus sich einigermaßen mühelos erschloss, dass es sich um den „Untergang des Abendlandes“ von Oswald Spengler handelte. Unter den wenigen Büchern, die aus meiner sehr frühen Geschichte durch Zeiten und Wanderungen hindurch überlebt haben und auf höchst wundersame Weise wieder bei mir gelandet sind, gehört ausgerechnet der „Untergang des Abendlandes“ in zwei mächtigen Bänden aus der Bibliothek meines Vaters. Seine anderen Bücher, die ich habe, sind alle über Indien, er hat sich wohl auch für Indien interessiert. Oder habe ich die Bücher schon damals gelesen und wurde durch sie inspiriert? Auf jeden Fall erinnere ich mich, mich immer wieder mal an die beiden Untergangs-Brocken heranzumachen, um zu begreifen, wie er diesen mächtigen Titel zu seiner für ihn offensichtlich vorhandenen Logik führt. Und obwohl ich nicht behaupten kann, dass ich mich oder andere dabei angetroffen habe, sich den Titel in praktische oder nur gedankliche Vorgänge umzusetzen, geistert er immer mal wieder hochaktuell durch die Gehirnwindungen der Abendländer. Es bleibt ja nicht aus, dass man darüber nachdenken muss, was man mit „Untergehen“ überhaupt meint. Da wir mit unseren ehemaligen Hausbesitzern und Nachbarn eine gemeinsame Bibliothek teilten, und nun nach Verkauf des Hauses die Bücher (während meines Aufenthaltes in Indien) an den neuen Besitzer und Nachbarn gingen, bin ich auch vom Untergang des Abendlandes trotz der wenigen Schritte dorthin auf simpelste Weise getrennt worden. Wenn ich mich überhaupt an etwas erinnere beim Blättern der Seiten bzw der Nachvollziehung der Gedanken, so ist es, dass er, ähnlich wie Hindus mit ihrem  kreisläufigen Modell, den Untergang der Kulturen als einen natürlichen Teil des kosmischen Geschehens sah, ihr stetiger Aufstieg und ihr Untergang. Natürlich ist das manchmal verstörend im Herbst, wenn all diese braun gewordenen Blätter auf einmal ihre Schönheit nur noch entfalten, wenn das Sonnenlicht diesen Aspekt des Vergänglichen noch einmal glanzvoll belichtet, als läge im Zerfall immer noch das Gold seiner Möglichkeiten. Und dann gar keine Blätter mehr. Ruhe. Auch nach einem Krieg ist  immer eine bestimmte Ruhe zu spüren. Dem Erschrecken über die eigenen Vernichtungsorgien folgt oft nur ein Schweigen.  Ginge keiner hin in den Krieg, gäbe es ihn ja nicht, wie wir gerne gesagt haben. Aber alle gehen hin, deswegen findet er statt. Das ist wie mit dem Kaufen. Ist die Ware mal da, wird sie gekauft. Sind Waffen mal da, werden sie benutzt. Schrecklich wäre ja zum Beispiel ein Erwachen im Sinne, dass wir erkennen müssen, dass wir in der Blüte saßen, ja, dass wir vielleicht die Blüte waren. Wie lange dauert so eine Friedenszeit auf Erden, wo es einfach alles gibt, was ein wie auch immer gearteter Mensch haben will und kann. Weil das alles bei uns so geradezu unheimlich stabil wirkt, was wir so alles haben, wollen natürlich so viele wie möglich daran teilnehmen, was bei aller vorhandenen Menschlichkeit dann leider gar nicht möglich ist. Die Einen denken ‚jetzt haben wir mal endlich, und sollen schon wieder davon abgeben‘, und die Anderen denken ‚warum sollen nur die alles haben, was wir auch haben wollen‘. Die Bewegungen sind ja nicht immer so kompliziert, kompliziert ist nur das Darin-Gefangensein. Wenn ich mir das Abendland als einen heute lebenden Menschen vorstelle, dann denke ich, es wäre gut, manchmal den Kopf etwas zu neigen, damit die Einsicht in das Vorhandene nicht zu schmerzhaft wird.

 


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