schärfen

Ich merke, dass meine Betroffenheiten sich verankern können, wenn ich auf irgendeine Weise mit ihnen verbunden bin. Auch mit Amerika, vor allem mit New York, verbindet mich eine lange Geschichte, wo wichtige Schalthebel sich in Bewegung setzen ließen, wichtige Lebenseindrücke und Richtlinien und Abenteuergelüste wurden dort aktiviert und wirkten leise als Heilung der Nachriegskindergeschichte. Wo mich zum Glück nichts so gebannt hielt, dass ich nicht fortkam, und im Fort-Davon Zeit fand, mit mir selbst zu sein, wenn auch als bleicher Vogel, der entkommen war aus der Nazi-Hölle. Deswegen und vielleicht auch aus anderem Grund verbietet sich etwas in mir, nach Israel zu schauen, und wenn ich Netanjahu sehe, kann ich nur schaudern, und danach gleich noch einmal schaudern, wenn ich den Hamas Führer anschauen würde, und dann ich nochmal schaudern können würde, wenn Menschen in Deutschland ‚Scheiß Juden‘ vor der Synagoge schreien. Wo sind wir? Freie Momente des Tages verbringe ich in Indien, mal am Ohr in Gesprächen, mal auf das Unfassbare starrend, ohne vorzutäuschen, dass es zu verstehen wäre, oder ist es viel einfacher, als man denken möchte. Nein, es ist nicht einfach. Nicht für jeden ist es wichtig, Zeugin einer nicht nur sterbenden, sondern durch Gier und Habsucht vernichteten Kultur zu sein, ah, war es nicht mein Herzblut, das unvergleichliche Gut. Gerade noch im letzten Moment den Anker gelöst, bevor es versank in die erbarmungslose Abgrundtiefe. Und wie ein goldener Ring im Märchen ist es, der unversehens von einem hochwohlgeborenen Finger gleitet und als verloren gilt, gäbe es nicht einen Fisch, der, im Netz eines Fischers gefangen, auf einem Teller landet und siehe!, da ist er wieder, der Kern und die geballte Substanz der Geschichte. So leide ich auch, soweit ich kann und im Mitfühlen mich schule, unter den grässlichen Vernichtungsorgien, die auf viele unterschiedliche Weisen stattfinden, im helleren oder im dunkleren Netz. Und um in diesen Netzen wiederum nicht gefangen zu werden,  bleibt einem praktisch nichts anderes übrig, als immer wieder zurückzukehren zu mir selbst und mir die Fragen zu stellen, die im Kontext meiner Erfahrungen auftauchen. Manchmal geschieht etwas Unvorhergesehenes (klar!), das die Kraft hat, das eigene Weltbild, das man für real hielt, zu erschüttern. Kein Faden mehr auf den Wegen des Labyrinthes. Nur noch der direkte Zugang zu dem, was ist, bleibt offen. Aber was ist es, das ist die leicht unheimliche Frage. Denn wenn sie, die Frage, zwar auftauchen kann, aber nicht mehr beantwortet werden muss, dann kann man, wenn auch oft auf schmerzvolle Weise, genau da landen, wohin auch die Suchenden tasten und dem Gerücht folgen, man könne es finden. Und wenn man genau an diesem Punkt aus ‚es‘ ‚ich‘ werden lässt, dann kann man den Blick schärfen für alles Weitere. Oder nicht nur den Blick. Hier braucht man die Lupe.

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