Bei Piraten

Es waren natürlich nicht einfach Piraten, die mit gefährlichen Ideen auf Weltmeeren herumtuckern und mit schwarzen Augenbinden anderen Schiffen ihre Waren abtrotzen, nein. Es waren Raum- und Zeit Piraten, die durch technische und kreative Gewitztheit neue Welten erschaffen, die zuvor (danke Gene Roddenberry) noch nie ein Mensch gesehen hat. Denn in jeder ihrer Installationen erfinden sie neue Zusammensetzungen und legen neues und manchmal auch örtlich zu findendes Material z.B. auf Spiegelscheiben, die dann wiederum Reflektionen auf Wände werfen und auch durch andere Gegenstände und Tiertotenkopfskulpturen ersetzt werden können. Das alles fand statt in einem sonntagsbetäubten Dorf irgendwo im Norden, d a wo sich für uns, vom Bergland kommend, das Land immer weiter als Flachland ausstreckt in ein tiefes und dichtes Grün. Fand also dort statt inmitten des stillen Dorfes in einem sonst leeren Raum, in dem nun ihre Zauberwerke rotierten, von denen man oben rechts über das Photo von Henrike Robert etwas sehen kann. Während wir, die wir uns gemeinsam aufgemacht hatten zu diesem Kreativ-Trio, auf der längeren Fahrt Sonne und Wolken in heller Abwechslung genießen konnten, war es den Raum-und Zeitpiraten zu hell, denn vieles von dem, was durch ihre Werke zum Strahlen kommt, war im Sonnenlicht wenig zu sehen, und es gab kaum Schatten. Dafür gab es Töne und es gab eine Maschine, die mir besonders gefiel. Man kann dort, vorzüglich auf dem Boden knieend, in einen auf schmaler Seite aufgerichteten Laptop hineinsprechen, bzw. in eine dort installierte App., die die Besonderheit hat, Worte nicht genau zu verstehen. Man kann schon sagen: so gut wie gar nicht, sodass auf der Wand, wo man die hineingetönte Sprache sich entfalten sieht, ein neues Sprachwerk entsteht mit surrealen, durchaus poetischen Komponenten. Man kann nun bei so einer technisch durchgetüftelten Arbeit, die eine gewisse Begeisterung im Auge zu aktivieren vermag, nicht erwarten, dass sich in der schlummernden Hamminkeln Gemeinde die Leiber erheben und sich aufmachen zu den begabten Piraten- Tüftlern, aber man denkt ja immer, dass sich ein paar mehr aufmachen könnten auf die abenteuerliche Reise. Andrerseits war es gerade dadurch möglich, dass wir einen erfreulichen Kreis bilden konnten und ein bisschen mehr voneinander erfahren. Einer der Künstler, Tobias, hatte eine Schrifttätowierung auf seinem Arm, und das interessiert mich auch immer besonders, was Menschen so auf ihre Haut einritzen lassen an Worten, die vermutlich bis zum Lebensende den nun besprochenen Arm bewohnen. Hier war es nun der Satz : „Tanz, sonst sind wir verloren“, den eine Zigeunerin, erzählte er, ihm eingraviert hatte.(?) Ein Satz von Pina Bausch, den sie an ihre Truppe richtete, mit „Tanzt!, sonst sind wir verloren!“, ein schöner, aufwühlender Satz, der einen guten Raum hatte da auf dem Arm eines Raum-Zeit Piraten. Während ihres Aufenthaltes in Hamminkeln wohnen  sie, die Piraten, in einem Schloss. Dort trafen wir auch eine wache Piratenfrau, deren Kinder draußen im Schlosshof spielten. Wir stiegen dann eine sehr alte Steintreppe hinauf, auf denen lange Plastikstreifen klebten, mit abwechselnd einem Mann und einer Frau darauf, die Abstand voneinander halten. Innen ging es gleich wieder hinunter auf einer gleichfalls sehr alten, dunklen Holztreppe, wo sich eine Pforte öffnete in einen paradiesischen Garten. Ein Brombeerstrauch war angefüllt mit großen, schwarzen und süßen Beeren, es gab duftenden Lavendel, Kapuzinerkresse und hohe, wehende Gräser und ein vorbeiziehendes Gewässer, vorstellbar als einstiger Burggraben. Wer’s nicht glaubt, kann hingehen. Wir wissen ja alle, dass Künstler und Künstlerinnen eigentlich in die  Schlösser des Planeten gehören.  Sie müssen aber raus wie alle Anderen, obwohl sie die Hamminkelns der Welt auch nicht beliebig oder umsonst beleben, nein. Von jedem Hamminkeln geht ein Strahl aus, auf dem Raum-Zeit Piraten sich vorwärtbewegen können, und damit günstigerweise auch genug ( dringend bedingtes  oder unbedingt dringendes Grundeinkommen) da ist für ihre Freunde und Kinder, und so lange sie alle da sind, also wir alle da sind, können wir tanzen und nicht verloren gehen. Pina Bausch wäre heute achzig geworden. Ist das nicht ein Grund zum Feiern wegen seines trefflichen Zusammenhangs.

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