Gefühle

 
Ein Spiel: Man nimmt aus einer Zeitung oder ein paar Büchern, die herumliegen, schnell und ohne viel zu überlegen, 10 Worte oder Sätze heraus, die einen ansprechen, und schreibt sie auf ein Papier. Daraus macht man dann in einem Zeitraum von zehn Minuten eine Geschichte. Hat man die Geschichte, dann wählt man, möglichst aus einem Hut mit verschiedenen, beschriebenen Schnipseln, ein Gefühl heraus und schreibt dann den Text nochmal, verändert durch das Gefühl. Man merkt, dass durch das Zufügen des Gefühls, egal, was für ein’s, der Text belebt wird, denn Gefühle erschaffen offensichtlich Verbindung. Ja, hatte man denn vorher keine Gefühle, könnte man sich fragen. Wahrscheinlich schon, aber wenn man die eigene Befindlichkeit nicht bewusst erfasst hat, steht sie einem auch nicht zur Verfügung. Nun ist vermutlich so ziemlich jeder Mensch ein wandelndes Energiefeld von Emotionen und Gefühlen, zwischen denen man auch noch unterscheiden muss. Früher habe ich mich immer dusselig geärgert, wenn mir z.B. bei einem Film die Tränen kamen, und ich kann es immer noch nicht leiden. Eigentlich will ich in so etwas produziert Emotionales nicht hineingelockt werden. Darüber kann man streiten, zum Beispiel ob man nicht grundsätzlich Dankbarkeit empfinden könnte über jedwede Gefühlslockerung, aber das kommt mir albern vor. Neulich kamen mir tatsächlich Tränen in die Augen beim Lesen von Rose Ausländers Gedichten. Da war es so, dass man an der Transzendenz ihres zutiefst persönlich Erlebten hinein in eine zeitlose Poesie teilnehmen konnte. Es war eine Dankbarkeit für die Kraft des Schöpferischen, die solch Wunderbares ermöglicht. Einmal in Indien, als ich mich in einer höchst bedrohlichen Situation mit zwei Männern befand, spürte ich, wie jedes Gefühl aus mir verschwand, vor allem aber die Angst, und es wurde kalt. Aus dieser Kälte heraus kamen Eingebungen, die mir letztendlich einen Fluchtweg eröffneten. Ich habe mich ein paar Mal in Situationen vorgefunden, die mir nur dadurch Schutz boten, indem keine Auswahl von Gefühlen verfügbar war. Hat man eine Wahl? Ich denke, dass überall, wo man keine hat, im Hintergrund eine Szene sich verbirgt, die noch entlöst werden muss, denn warum wäre ich sonst der verhältnismäßig schmalen Palette der erfassten Gefühle ausgeliefert? Und wer kennt es nicht, dass man inmitten eines heftigen Streites ans Telefon gehen kann, um dort als glaubhaft liebenswürdig zu erscheinen, oder auch zu sein. Ist das nicht eine Form der Freiheit, dass ich das ganze Material zur Verfügung habe, um damit bewusst und ungestört das Bild zu kreiren, in dem ich lebe? Denn es geht ja vor allem auch um das Zusammenspiel mit den Anderen, die einem wiederum mit ihrem eigenen Gefühlshaushalt entgegen kommen. Auf dieser Ebene des Spiels geht es wahrlich um alles und auch um nichts. Das Nichts, das hier seine Bestimmung findet, hat das Alles als sein Potential. Sie sind gewissermaßen untrennbar und handeln als ein Ganzes uneingeschränkt aus sich selbst heraus.

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