Verdict/Urteil

Wie ich gestern erstaunt hörte, hätte die Urteilsfindung der Geschworenen im Fall George Floyd/Derek Chauvin Wochen dauern können, eben, bis alle zwölf Geschworenen zu einer gemeinsamen Antwort gelangt wären, und nun ging alles überraschend schnell. Man musste es mit den eigenen Ohren hören, damit es einsinken konnte, das gesprochene Urteil: Guilty!, schuldig in allen drei Anklagepunkten. Man wünscht es keinem Menschen, Jahre des Lebens in einem Gefängnis zu verbringen, doch es gibt auch die Unzähligen, oft mit dunkler Haut, die erwiesen unschuldig nicht nur in Gefängnissen saßen, sondern auch in der Todeszelle. Auch die meisten Opfer von Polizeigewalt in Amerika hatten wenig Chancen, denn es gab noch keine Körper-Kameras, und selten heldenhafte Jugendliche wie diese junge Frau, die die Kraft hatte, den Vorfall auf ihrem Smartphone zu registrieren, obwohl der Angeklagte sie gewarnt hatte. Ihr Video wurde das Beweismaterial. Dieser Moment der Gerechtigkeit war durchaus nicht zu erwarten, denn es hätte nur eine einzige Stimme gegen seine Verurteilung gebraucht, und das Schuldig! wäre nicht möglich gewesen. Es ist der Beweis, sagte der Berichterstatter, dass man seinen Augen trauen kann! Ein tiefer Satz, bestens geeignet für weitere Kontemplation. Ich merkte auch, wie die Gänsehaut langsam nachließ und der innere Atem zurückkam. In meinem Leben haben dunkelhäutige Menschen eine große Rolle gespielt, von der Liebe zu gutem Jazz und seinen unsterblichen SängerInnen bis an die Gewässer indischer Seinskultur. Einmal kamen indische Freunde hier zu Besuch. Sie fragten eine Frau nach dem Weg, die entsetzt aufschrie und die Flucht ergriff, denn der Anblick dunkler Haut war zu viel für sie.  Bei meinem ersten Besuch in Amerika gab es noch getrennte Sitze zwischen Schwarz und Weiß, das muss man sich mal vorstellen, und die Schultern, auf denen dieses auch schreckliche (amerikanische) Land aufgebaut ist. Tatsächlich geht es um Schrecken, unter dessen düsterer Fahne das Land nun eine neue Richtung einschlägt, wenn es will, wenn es kann. Wenn kein Trump mehr an der Spitze des Landes steht, sondern ein Mann, dem man, wenn auch langsam, zutraut, dass er tut, was er gut kann. Mit der Familie von George Floyd z.B. in Verbindung stehen. Und wissen, dass es ein schwieriger und langer Weg sein wird, aber nicht davor zurück schrickt. Denn wir wissen doch aus Erfahrung, dass auch ein Drittes Reich zu Ende ging, und wie lange es dauert, bis so ein Ende wirklich in Sicht ist. Denn es verlangt nach Prozessen, die in Gehirnen stattfinden, eine willige Umschulung des eingenisteten Glaubens, eben dass e i n Mensch wertvoller sei als ein anderer. Nein, sie sind auch nicht gleich, aber ihre Würde ist unantastbar, und genau d a muss das Herumtasten aufhören. Denn Mister Chauvin hat den Mann umgebracht, und etwas wird ihn ganz sicherlich in den nächsten Jahren gedanklich beschäftigen (müssen): Hat er den Mann getötet und wusste er genau, dass er das tat? Es ist kein festlicher Moment, in dem man vergnügt das Sektglas hebt und Anderen zuprostet, aber es ist ein gehaltvoller Meilenstein, der sich zu Recht eingravieren wird in die Geschichte der Menschheit.

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