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Lange bevor ich mich Joseph Beuys mit etwas tieferem Interesse zuwenden konnte, war mir sein berühmter Satz darüber, dass ein jeder ein Künstler sei, bekannt, weiß aber bis heute nicht, ob der zweite Satz, dass aber nicht alles Kunst sei, auch dazu gehört. Es stimmt ja, dass man Meister nahezu überall finden kann, wo ein Mensch mit schaffensfreudiger Einstellung und einem Schuss Begabung in die Richtung seiner oder ihrer Neigungen steuert, dass dort dann eben bessere Brötchen entstehen, bessere Qualität und menschenfreundliche Wirkung. Das kenne ich auch sehr gut von Indien, dass man hinter dem Holztisch eines kleinen Teeshops einen ernsthaften Menschen stehen sieht, der weiß, dass er Gutes liefert. Das ist auch Kunst. Überhaupt bleibt es einem offen, das ganze Leben als ein Kunstwerk zu sehen, und es wurde ja auch ziemlich alles gemalt, von den Göttern hinunter bis zu den Schlachtfeldern, wo der Mensch in seinen entmenschlichten Taten zu sehen ist, damit man weiß, dass es auch dort schon da war. Die Kunst als eine Art Menschenarchiv in Bildform. Vor allem während des Lockdowns bin ich öfters mal an meinen Bücherreihen entlanggegangen, was mir u.a. durchaus ein liebevolles Lächeln abringen kann über diese exzellenten Begleiter und Begleiterinnen: wie hätte ich überleben können ohne sie. Und dann der Nu, wo mir klar wird, dass alle zwar auf individuellen Bahnen in ihrem Jetzt ankamen, aber mehr oder weniger um dieselben Themen kreisten, durch die auch der Teil des Geistes, der mich durchweht, genährt wurde. Denn zum Glück gibt es Tatsachen, die nicht geklärt werden können, da unentwegt ein enormer schöpferischer Prozess im Gange ist, der sich nur durch direkte Verbindung erleben lässt. Durch das Eintauchen ins Ungewisse, was es nun mal ist, daran besteht doch kein Zweifel? Da wir in das Schöpferische derart ungestüm hineingeworfen werden, kann man schon jedem Mann und jeder Frau, und (vor allem) auch den Kindern von Herzen zugestehen, dass sie wahre Lebenskunstwerke vollbringen, jeder Tag ein neuer Schöpfungsakt, kaum kommt man zur Ruhe. Die, die wirklich zur Ruhe kommen wollten oder wollen, haben meist einen Weg gewählt, der ihren Bedürfnissen entsprach, bewusst oder unbewusst. Als ich Beuys dann einmal intensiv zuhörte, war ich erstaunt, wie sehr er selbst verkörperte Kunst war. Man konnte spüren, dass er keine Wahl hatte. Auf mich wirkte er gar auf eine bizarre Art und Weise erhellt, also angekommen im eigenen Innenraum. Er erzählte ja gern von einem Dachschaden, den er erlitten hätte bei einem Absturz, schon möglich. Kommt drauf an, wie man so etwas dann einordnet. In gewisser Weise kann selbst das Künstliche eine Kunstform sein und ist es oft genug, und natürlich stößt man auf die unvermeidbare Frage, wie man Kunst definiert und ob man sie gemeinsam durch ihre festgelegten Kriterien deuten und verstehen kann, also als d a s, was sie ist, und  d a s, was sie nicht ist. Und ob es spürbar und erkennbar ist. Es ist mir ein paar Mal passiert, dass sich meinem Blick etwas zeigte, was mich wacher werden ließ (durch Francis Bacon z.B.), und zwar wacher, weil ein Bild mich in eine andere Wahrnehmung zwang als meine eigene Geschmacks -und Meinungsskala, und das kann nur Kunst. Natürlich ist sie auch, wenn man sie wählt als Weg, ein Pfad der Heilung. Man heilt sich, indem man sich entlässt oder einlässt auf eine Leinwand oder ein Papier oder einen Coyoten oder die ungewisse Existenz selbst. Und dadurch leert und lockert es sich innen. Dann noch täglich das Notwendige durchackern, um die Samen der gewünschten Früchte in die fruchtbare Erde zu senken. Kunst eben auf Biblisch.

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