frei Haus

Gestern traf ich im Haus von Shivani, die fünf exzellent ausgestattete und durchweg gebuchte Hotelzimmer hat, eine befreundete indische Familie, die schon bei uns in Deutschland zu Besuch war. Ein weiterer Gast war eine Australierin, der ich seit Jahren immer wieder  im Dorf begegne und die, wie die meisten AusländerInnen, hier für ihr Business einkauft. Gerade hatte ich einen Beitrag in ARTE zugeschickt bekommen über die für Menschen nicht mehr geeignete Luft in Delhi, und ich hörte nun von den Delhi-Bewohnern aus nächster Nähe, dass niemand, der es sich erlauben kann, mehr unnötig das Haus verlässt, wobei den Messungen zufolge die Qualität der Luft innen wie außen tödliche Werte erreicht hat. Ich erinnerte mich an die Jahre, wo diese Form von Lebensbedrohung noch nicht artikuliert wurde, ich aber vom Flughafen in diesen alten, klapprigen Taxis an Millionen von Menschen vorbeifuhr, die auf der Straße wohnten, und deren Elend  über Kilometer hinweg oft genug die andere Seite, wieder im geliebten Land angekommen zu sein, schmerzhaft übertönte. Am schlimmsten fand  ich die Nachricht, dass zur Zeit täglich um die 30 000 neue Autos bestellt werden, wo der Verkehr in Delhi jetzt schon völlig blockert ist. Gestern also am Tisch kam dann auch die australische Feuertragödie in spürbare Nähe. Sie könne sich nirgendwo mehr wohlfühlen, sagte die Frau, denn sie kann sich weder hier noch dort geistig aufhalten, sie könne nur noch weinen. Obwohl ihr Haus noch steht, ist es im Gefahrengebiet, und selbst, wenn es nicht abbrennt, müssen sie auf unbestimmte Zeit Masken tragen, da man die Luft, die noch höhere Grenzwerte hat als Peking und Delhi, nicht mehr direkt einatmen kann. Das Leid, sagt sie, hat eine apokalyptische Dimension erreicht, von wo aus es kein „nach der Katastrophe“ mehr gibt, denn vieles wird lange oder für immer unbewohnbar bleiben. Es ist so viel, es ist so viel, es ist zu viel. Der eigene Apparat ist überfordert, ständig bemüht um neue Einstellungen, um nicht nur dem Schrecken gerecht zu werden. Auch der Satz „so sind die Menschen nun mal“ fällt häufig. So sind sie nun mal? Wie sind sie denn nun mal, die Menschen, und wenn  wir anfangen, so über sie, also uns, zu reden, dann kann man sich die Frage, wie ich selbst bin, eine Weile vom Hals halten. Auch muss man sich zutrauen können bei so viel gefühlter Ohnmacht, einen Unterschied machen zu können, auch wenn das ein bisschen bedeutungslos erscheint im Angesicht des Ausmaßes. Aber was ist das Maß, und um welche Einheit geht es? Deswegen begrüße ich die Nähe und den Austausch des Schreckens. Wir ringen in jedem Fall nach bestem Ermessen um unsere Menschlichkeit, und Antwort und Plan werden nicht frei Haus geliefert.

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