denken?

Das hat mich schon in den ersten Zeiten in Indien verstimmen und irritieren können, wenn Inder mit der ihnen eigenen und überzeugenden Selbstverständlichkeit sagen konnten: mat socho, denk nicht. Wie was: denk nicht? Später wurde klar, dass bis heute das wesentliche Denken ihrer Meinung nach von denen kommt, die vor ihnen sitzen. Man lernt also vom Vorgedachten, und auch als wir Westler kamen und in die Praktiken einzogen, war klar, dass uns niemand zutraute, das „Richtige“ denken zu können. Da wir ja auch gute LehrerInnen schätzen und Bücher lesen und eine ziemlich entwickelte Gesprächskultur haben, wo sie erwünscht ist, war es trotzdem gut und lehrreich (denke ich mal), vor allem durch meditative Praxis dem westlichen Drang zum Denken etwas Einhalt zu gebieten. Seit aber die indischen Gurus wegen aller möglichen Missbrauchsvorwürfe in den Gefängnissen landen (fünf von ihnen, seit ich hier bin), wird mir berichtet, dass viele Menschen das Vertrauen in sie verlieren. Nun zeigt sich ein enormer Schock: das eigene Denken ist nicht ausgebildet, es wurde nie ermutigt und ging bis an die Hochzeitstür: da heiraten nicht zwei Menschen, sondern zwei Familien, und es sind immer die autoritären Figuren, die das Denken (und die Wahl der Partner) bestimmen. Man versteht ja erst spät, wie tief dieser Wunsch, von Autoritäten beraten zu sein und gelenkt, in den meisten Menschen ihr Unwesen treibt. Wie soll ich meine Welt gestalten, wenn ich mir nicht zutraue, eigenes Denken anzuwenden, ja, überhaupt zu wissen und mich zu fragen, was ich damit meine. Vor allem in der spirituellen Welt geistern endlose Banalitäten über das Sein, das Denken, das Ego, die Verhaftung an Identität, so als ginge es nur darum, den Trick zu finden, wie man das alles los wird, und dass man so lange vor jemand sitzen muss, der es hat- Was hat? Sich selbst? Ein laufendes Mysterium, man kann es nur selbst enträtseln. Wir vergessen oft, dass wir in einer Zeit leben, in der zwar unvorstellbare Gräuel Gestalt angenommen haben, aber es ist auch eine Zeit immensen Reichtums, so als hätte das Ganze eine Fülle erreicht, bei der vor allem das eigene Denken beansprucht wird, denn man muss ganz sicherlich entscheiden können, wo in der Mitte dieses irren Stromes der eigene Weg langgeht. Hat man die Richtung einigermaßen angepeilt, beruhigt sich dann doch letztendlich auch die immense Anstrengung, die es brauchte, um mit dem nun äußerst hilfreichen Kompass die Navigation mühelos aufrecht zu erhalten. Die Freude des Denkens oder Nicht-Denkens, die Freude am Spiel oder dem Drama, die Freude an Büchern oder Menschen, das bleibt doch dann uns selbst überlassen, wie wir unser Dasein einrichten. Simple living -high thinking!

Das Bild zeigt eine Hauswand im Dorf.


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