anbeten

Auf den Bildern sieht man einmal eine Gruppe vor meinem Fenster am Abend, dann eine Gruppe am Tag. Sie werden belehrt über das, was die amtierenden Brahmanen sich eingebleut haben vom Wesentlichen der Geschichte. Keiner ist besonders berührt oder beteiligt, und das Abendphoto habe ich vor allem deswegen gemacht, weil das permanente Aufblitzen der Smartphones gezeigt hat, was die Beteiligten wirklich beschäftigt, und zwar die Dokumentation ihrer Existenz in allen Lebenslagen. Photographieren war unlängst am See noch verboten und hat nun alle Grenzen gesprengt und selbst den Priestern ihre Machtlosigkeit vorgeführt, obwohl sie ihrer Meinung nach die Lieblingsgeschöpfe von Gott sind und sich angeblich pausenlos in seiner Nähe aufhalten. Anbetung, „Bhakti“ auf Hindi, ist die beliebteste Form der religiösen Ausübung und hat tausendfältige Formen, die keine eigenen Gedankengänge brauchen, sondern idealerweise eine hingegebene Einstellung an was und wen auch immer. Dieser Weg ist zwar von vielen Westlern, die vor Jahren haufenweise in Indien eintrafen, um entweder viel Dope zu rauchen oder aber in irgendwelchen Gruppierungen und Ashrams diese Hingabe zu erringen versuchten, häufig beschritten worden, was selten gelang. Meines Erachtens lag es u.a. daran, dass die meisten Westler (zum Glück) nicht gehorsamsfähig waren, aber (leider) es immer weiter versuchten und die gegebenen Riten ausbauten, bis das sogenannte „Ego“ wirklich da war und man es gut erkennen konnte. Es gab darum herum massive Missverständnisse. Im Gegensatz zu den vielen Lehrern, die dachten, das viele Runterbeugen würde was knacken im westlichen Ich, gab es in vielen westlichen Menschen noch gar kein erkennbares Ich, das man knacken konnte, sondern eher gravierende Unsicherheiten und Schmerzprogramme, für die in dieser Form keiner hier geschult war. Auch durch freie Sexualität, wie es Osho in den Ashrams lehrte und dachte, irgendwann hätte jeder mal genug vom Ganzen, hörte es nie auf, und wurde gerüttelt und geschüttelt, bis man hörte, dass einige doch erwacht sind, wer weiß wodurch. Vieles kann angebetet werden: der See, der Lichtschalter, der Phallus (Vorbild Shiva), der Ehemann, das Fernsehen und natürlich das Smartphone. Das Smartphone ist der Sieger im Anbetungsgerangel. Wow!, ahnt der/die Selfistin und knipst noch ein paar bewundernde Extras.“ Das bin ich! Das muss ich sein. Wer soll es sonst sein?“ Gute Reise!, denn es ist sicherlich förderlich, sein Ich zu erkennen, und das eigene Ego einschätzen zu können, damit man von der Vorstellung loskommt, alle Anderen hätten viel mehr oder viel weniger davon. Ich habe allerdings des öfteren schon eine tiefe Ruhe in der Ausübung der Bhakti-Rituale beobachten können, eine schlichte Demut des gläubigen Vertrauens, die große Schönheit hervorzaubern kann. Jetzt aber ist das Kollektiv, das solche Scheuheit schützte, von tiefer Unruhe durchdrungen. Es sind vor allem die neuen Medien, die das Individuum zur uralten Frage führen: Wer bin ich, oder: wer bin ich wirklich (in Bezug zu mir und den Anderen)? Und gibt es eine wirkliche Wirklichkeit?

 


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