schöpfen

*

Das konnte sie (die Verstorbene) wirklich besonders gut: kleine surreale Welten erschaffen.  Ein Frauenfigürchen ohne Kopf steht gegen die Wand, hinter ihr die Frage: „Wer bin ich wirklich?“. Ein Körper liegt in einem trockenen Wasserbecken. Auf dem am Zweig befestigten Zetteln stehen Sätze wie: „Das sollte ich tun“ & „Das könnte ich tun“ & „Das sollte ich sein“ & „Das wollte ich sein“, die alle sehr gut zum Jahresanfang passen im Sinn von all dem, was durch die Köpfe geht, wenn die Kurve gekratzt ist und der Teppich der Zeit sich nach vorne ausrollt. Was er natürlich sowieso tut, denn auch wenn es keine Menschen mehr gäbe, würden Tod und Leben Schulter an Schulter weiterreisen. Auch Bäume und Tiere sterben, auch Sterne. Wir Erdlinge brauchen Strukturen und Ordnungen und Rituale, damit der schwer zu ergründende Wahnsinn des Daseins mit Sinn befrachtet werden kann, den es ja an sich gar nicht geben muss, da der Sinn nicht in den Dingen liegt, sondern wir ihn hineinlegen. Das absolut Ungewisse, das den ganzen Vorgang umgibt, kann furchteinflößend sein. So werden Normen gebastelt, an die sich Menschen dann halten müssen und wollen und sollen.  Das zum surrealen Blick befähigte Auge liebt es, die als normal erkennbaren Zusammenhänge auseinander zu nehmen und sie ganz neu darzustellen. Das Beflügelte spielt hier eine größere Rolle. Daraus wächst ein Mut, der die Entgrenzung befähigt, die überhaupt nur zu fremden Gefilden führen kann. Gefährlich ist es auch hier. Schnell kann der Held:innentod kommen, wenn das Geschöpfte entweder dem eigenen Anspruch oder dem Anspruch der Schöpfungsgesetze nicht zu genügen scheint. Aber was scheint vor wem und an welche Gesetze ist es dennoch gebunden?

 

*Bild: Claudia M.Brinker
Mit zwei Ausschnitten

 

 


Leave a Reply

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert