kreisen


Geldspendergruppe
Eine Seite des Hauses, in dem ich zur Zeit lebe, geht zum See hinaus, die andere zum „Ghat“, also dem Zugang zum See. Dort finden regelmäßig, wie auch an den anderen 51 Ghats, gigantische Zeremonien statt, zum Beispiel, wenn mächtige Spendenströme fließen und der Spender bekränzt und besungen wird und neuerdings natürlich auch gefilmt, damit auch von einem selbst nicht vergessen wird, wer man einmal alles war. Heute früh saß ich auf meinem Bett und wartete auf die Stromsperre, angeordnet im ganzen Land von der Regierung für eine ganze Stunde und die einzige Möglichkeit, den besessenen Mantrasinger inmitten seines lückenlos präsentierten 578sten  „Om Namo Shiva“ zum Schweigen zu bringen. Meine Suche nach Mitleidenden war vergeblich. Die meisten hörten es gar nicht, obwohl die Lautstärke  ein Nichthören eigentlich nicht erlaubt. Shivani meinte, dass sie das Weghören alle gewohnt seien, ich solle aber ruhig mal bei der Touristeninformation Klage einreichen. Es ist ja sinnlos – warum? Weil es bei dem Mantra eben um einen Gott geht, und als ich da so saß und mir immer zu den Mantraklängen neue poetische Absurditäten ausdachte im Rhythmus mit dem Gesang, da wusste ich (als hätte ich es nicht schon vorher gewusst), dass die Götter hier immer die Vorherrschaft haben werden. Das wird nie vergehen, denn es gibt keinen indischen Blutstrom, in dem sie nicht in jeder vorhandenen Tiefe oder Höhe oder Oberfläche vorhanden sind und (u.a.) das oft erschreckend lieblose Zuhause aufhellen mit ihrem Glanz und ihren Talkshows. Denn sie, die Götter, haben ja unzählige Vertreter im ganzen Land verstreut, vor denen immer noch in großen Mengen Menschen sitzen und andächtig lauschen, wenn sie nicht selig einschlafen bei den endlosen Diskursen, wo einer gelernt hat, den Eindruck zu erwecken, als hätte Gott ihn ganz persönlich zum Sprachrohr erzogen, um das Unsterbliche an die Generationen weiterzuleiten. Und es klappt. Natürlich klappt es auch bei den Christen, obwohl die vielen Austritte aus der Kirchenwelt eine neue Sprache sprechen. Oder im Islam, wo man aufpassen muss, dass man nicht was Falsches sagt über den Menschenhüter, und dann mit dem Kopf in die Erde gesteckt und gesteinigt werden darf, weil Gott dargelegt hat, wie die Sache läuft. Irgendwas ist hier in Indien anders und daher war es auch für mich so verführerisch, mich ein paar Jahre in der Welt der Götter zu bewegen. Nur hier habe ich die Erotik des Göttlichen in aller Freiheit (in mir) aufblühen sehen mit Menschen, die dieselbe Begeisterung aktivierten wie ich für diese unterhatsamen und hochgeistigen Formen, die einem überall begegneten und begegnen und sehr viele menschliche Züge und Befindlichkeiten haben, sodass man sich eher nahe als entfernt fühlt. Und ich bedaure nicht die knisternde Nähe, die einem da mit einem Lächeln ermöglicht wurde. Wem konnte man besser alles, was man liebte, schenken, nicht als Ersatz für die menschliche Liebe, sondern als heller Sahneklacks auf den Schattierungen des Alltags. Ich spreche aus meiner Vergangenheit, denn ich bin nicht mehr zuhause in der Götterwelt mit meinem Herzen. Es ist genau so, wie wenn ich Kontakt aufnehme mit dem einstigen Griechenland, oder mit dem Geheimnis des immer noch (und trotz allem) im Schweigen verankerten Ägypten: wir wollen die Götter lebendig haben, aber es kommt der Tag, da sind wir, beiehungsweise bin ich wieder in die Fremde zurückgewichen, ohne Konflikt, ohne Ablehnung, ohne Verlust der Freude an den Spielen, die die Follower sich erdenken, um lebendig erscheinen zu lassen, was nie Wirklichkeit, aber immer verlässlich und unterhaltsam war. So betrifft mein innerer Abschied nur mich, die ich verlassen habe, was das Ganze zusammenhält. Die in den Augen der Einheimischen noch diesselbe ist wie die Sadhni an der Dhuni des feurigen Shiva. Und tatsächlich bin ich noch dieselbe, nur weitergewandert auf meinem Weg, wo es passierte, dass mir unser menschliches Leid so ungeheuer und unheilbar erschien, sodass der göttliche Glanz wie von selbst erlosch. Jetzt berührt mich der menschliche Glanz, unsere atemberaubenden Möglichkeiten, mit der geistigen und unerschöpflichen Substanz angemessen umzugehen, und um dieses Maß kreisen meine Gedanken.

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