trotzdem

Eine der Fragen, die neulich mal gehäuft als Überschriften in einer Ausgabe der „Zeit“ vorkamen, alle im Kontext des Krieges, war: „Was ist jetzt noch unvorstellbar?“ Na vieles, würde ich sagen, denn unermeßlich groß ist der Raum des Vorstellbaren, und weiterhin werden Dinge geschehen und entstehen, die wir uns nicht vorstellen können. Und vieles von dem, was bereits da ist, können wir uns nicht vorstellen, da wir gebunden sind an die eigene Vorstellungskraft. Es war auch eine sehr verbreitete Einstellung der europäischen Gemeinde, dass Krieg in Europa nicht mehr vorstellbar war, obwohl es in den neunziger Jahren noch einen gab, der hat auch lange gedauert. „Lange“ fängt gleich nach ein paar Tagen an, jeder Kriegstag ist bereits zu lange. Als ich zum ersten Mal an der Grenze zu Indien stand, begann gerade der Krieg zwischen Pakistan und Indien, der fünf Tage dauerte. Obwohl nachts in Lahore schon kein Licht mehr erlaubt war, wollte ich unbedingt zum Tempel von Amritsar, um, wenn nötig, wenigstens in schöner Umgebung zu sterben, am „Lake of Immortality“, dem See der Unsterblichkeit. Ich erinnere mich an den blinden Musiker, der die ganze Nacht Harmonium spielte und sehr schön sang. Dann war der Spuk vorbei. Denn es ist doch ein Spuk, ein geisterhaftes Geschehen, ein Alptraum mit Bildern, die der Vorstellung der meisten Menschen eben nicht entsprechen, bis es sie einholt und trifft und überrollt und das Unvorstellbare seine dunkle Seite ausspielt. Und der Krieg ist ein Zuweitgehen, zu weit greift er hinein in die Menschenleben und erzeugt ein Leid, das keinen Namen mehr hat, und man spürt, wie diese Wortkargheit einen ergreift auf den Zuschauertribünen, obwohl man sich auch von diesen abgewandt hat. Manchmal streift mein Blick über die Bücherregale, und da sehe ich ja dann alle die, die durchgehalten haben im Trotzdem, und trotzdem wieder eine Zeile geschrieben haben, obwohl sie es oft genug nicht mehr für möglich hielten. Oder gerade deswegen weiter geschrieben haben oder gemalt oder gereist usw., weil wir auch weiterhin auf den Straßen nicht d i e erkennen können, die dann nachher, fleißig wie immer, eine Einrichtung bauen, durch die man mit Gas sehr viele Menschen gleichzeitig umbringen kann. Oder überhaupt eine Waffe heben und auf den Anderen schießen, bevor der einen umlegt. Und auf einmal freut man sich, dass die Ukrainer Waffen bekommen, denn die Russen sollen besiegt werden. Selbst dann wäre allerdings nichts zu Ende. Es ist nur zu Ende, wenn es endlich aufhört. Und soweit man bis jetzt sehen kann, so wird es nicht aufhören. Das Schlachtfeld ist angelegt im Inneren des Menschen, und es kommt darauf an, wie man den inneren Kämpfen begegnet, und ob man dem Frieden, der im Krieg so sehnlichst erwünscht ist,  genügend Platz einräumen kann bei sich selbst, sodass er wohnhaft werden kann im Schutz des Banianbaumes.

Leave a Reply

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert