caput mortuum

Unter Alchimisten hieß diese seltsame Farbe (im Bild) caput mortuum, ‚Totenkopf‘, was wiederum in ihrer Sprache ‚wertloses Zeug‘ bedeutete. Es entstand als Nebenprodukt eines anderen Vorgangs und kann heute zu angemessenem Preis in der Tube gekauft werden. Als ich die Regale entlangging und nach einer leisen Erweiterung meiner reduzierten Farbskala spähte, sprachen mich Worte und Farbe an, und so kann sie erst einmal alleine vor sich hinwirken, und ich habe auch die Worte mitgenommen. Caput mortuum klingt erstmal so, als könnte es kaputtes Sterben heißen, aber es heißt caput, also Kopf, per capita., caput omnis mortalis, jeder Kopf ist sterblich. Und das Trauern um das gestrige Sterben eines geschätzten Kopfes fließt auch noch durch mich hindurch, was immer man hier mit ‚mich‘ meinen könnte. Fließt es durch die aufnahmebereite körperliche Zellstruktur als das Lagerdepot der Befindlichkeiten, oder aber weht es, in diesem Fall also das Trauern, durch die Gehirnstruktur, die wiederum ihre eigenen Vorhöfe und Gärten und Seinsfelder hat, das ist zum Glück ohne Ende, zumindest ist da kein Ende abzusehen. Denn auch ohne mich wird es eines Tages munter weitergehen, auch wenn ich nichts gegen weiteres Dabeisein hätte, doch die Grenze wäre auch da unausweichlich. Neulich habe ich Yuval Harari zugehört, der in einem Vortrag darlegte, wie die Menschheit sich, von seiner wissenschaftlich gepolsterten Warte aus gesehen, vermutlich entwickeln wird, nämlich den Algorithmen entlang, und homo sapiens ist finished, homo humanis auch, und es erscheint diese Symbiose zwischen Technik und Mensch, oder ist sie schon da? Unter diesen Umständen kann also das, was dabei herauskommt, sehr viel länger leben als jetzt, aber vergehen muss es trotzdem, egal, wieviel für die Transaktion gezahlt wird. Jede/r kann, wenn er oder sie will, in die Zukunft hineinrätseln und Schlüsse aus dem Daseienden ziehen und die Wahrscheinlichkeiten kalkulieren, aber hier gibt es keine Garantien. Vier Jahre lang konnte man zusehen, wie wahrlich lächerlich Donald Trump ist, aber wer hätte den Grad an Lächerlichkeit und Bösartigkeit ahnen können, zu dem er jetzt fähig ist. Der gestern an Covid verstorbene Hindu, den ich betrauere, war altersmäßig genau zwischen Biden und Trump. Was für ein gigantischer Kontrast an verbrachter Lebenszeit, könnte man denken, wie ein heller und ein dunkler Faden, die im Dämmerlicht ihren Kontrast verlieren und der Muezzin anfängt zu singen. Wer sonst soll da anderes stehen als das Resultat der lebenslangen Entscheidungen, wie und warum das ausgehändigte Schicksalspaket s o  erforscht und begleitet wurde, und zu was es geführt hat, wenn man Schädliches ausloten musste und die salto mortales überleben. Am Ende des Filmes ‚Ghost Dog‘ von Jim Jarmusch wird der Samurai von seinem einstigen Lebensretter erschossen. Allein für das Lächeln des Sterbenden lohnt sich der Film. Er lächelt und meint – mit meinen Worten – es sei schon ok., denn er habe gesehen oder erlebt, was nötig war. Da saß dann auch einer bei ihm, der um ihn getrauert hat, der war untröstlich. Und das Weisheitsbuch des Toten hatte er (wohlweislich) vorher einem kleinen Mädchen geschenkt.

 


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