V(Z)erbrechen


Betroffene
Das Bild stammt von der Titelseite eines Lokalblattes, das neben anderen Blättern regelmäßig im Briefkasten zu finden ist. Schon streckte sich eine Wegwerfgeste dem Papier entgegen, als das Bild meinen Blick einfing. Ich hätte da auch irgendwo sein können, denn es ist noch nicht lange her, dass viele Photos von Schulen und Kindergärten in der ganzen Welt so ähnlich aussahen.Den tiefernsten Ausdruck der Kindergesichter kann man auch mit der Neuheit des Erlebens verbinden, oder dass man durch eine Methode angeschaut und wahrgenommen wird. Hier ging’s allerdings  um einen Zeitraum zwischen den 1950er und 1990er Jahren, als man Kinder zwischen zwei und 10 Jahren in „Erholung“ schickte und die dann in den Heimen vielfach missbraucht und gedemütigt und geschlagen wurden. Ich hatte noch nie davon gehört, aber was hört man schon von den grenzenlosen Untaten, die sich hinter normal wirkenden Fassaden abspielen. Das Wenige, das man tatsächlich hört, kann einem zuweilen die Freude am Menschsein so vergällen, dass man sich hüten muss, nicht in das erstarrte Schauen zu verfallen, in dem das Verstehenwollen sich hilflos ergibt und aufgibt für einen  Moment des Durchatmens, damit man weitermachen kann mit dem, was man jeweils für angemessen hält. So gab es also zwölf Millionen von diesen verschickten und den Erwachsenen ausgehändigten und ausgelieferten Kindern, und die meisten von ihnen dürften noch leben und werden nun aufgerufen, sich zu melden. Seit vielen Jahren sind diese Betroffenen als Erwachsene unterwegs, denen man Leid angetan hat, und wie oft begegnet man ihnen und weiß nichts davon. Nur, dass Kinder, denen es nicht gut ging oder geht, sehr schnell zu Erwachsenen werden, denen es nicht gut gehen kann, weil Verbrechen an ihnen verübt werden, die keine Ahndung erfahren. Das Banale am Bösen fängt schon damit an, dass wir uns nicht vorstellen können oder wollen, an Ungutem beteiligt zu sein, was sich wiederum schwer vermeiden lässt. Vermeide ich aber grundsätzlich, mich mit den dunklen und mächtigen Kräften zu beschäftigen und zu lernen, sie zu kanalisieren, kann auch das sogenannte Gute nicht wirklich durchdringen, beziehungsweise die grundsätzliche Ausrichtung der wohlmeinenden Kräfte nicht wirklich kanalisiert und genutzt werden für das, was meinem eigenen Geist entspricht. Und so gibt es doch ziemlich oft in uns auf einmal den erschreckten und verstörten Blick auf das an irgendeinem Punkt gekippte menschliche Verhalten, das wahrlich bestürzend vielen Geistern ermöglicht, das Unsägliche anzurichten. Auch die Nachricht, es hätte in einem einzigen Jahr in Deutschland 100.000 Messerangriffe gegeben, vor allem innerhalb der Familien mit wegen Corona ansteigender Tendenz, kann einen erschaudern lassen. Sie leben überall, diese Kinder. Sie leben in den Flüchtlingslagern und in den Häusern, und überall sind sie der Willkür Erwachsener ausgeliefert. Denn selten genug weiß man, wer die Missbrauchenden sind und von wem sie, wie in den Religionsverbänden, geschützt werden. Die Täter(Innen?)!, wohlgemerkt, nicht die Kinder. Das Menschsein, so, wie wir es heute erfassen können, ist eine recht bescheidene Angelegenheit geworden. Mit dem Drehen des Rades nach der Seite, die keinerlei Können verlangt, sondern nur eine willentlich zugelassene Entgleisung, verliert der Mensch eine Richtung, in der zumindest eine mögliche Haltung das Menschliche eher fördern als vernichten lernt. Und manchmal endet beides gleichzeitig, das Schweigen und das Wort.

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