Winterlicht

Tagelang konnte man am Morgen nur eine Nebelsuppe sehen, und an zwei Tagen kam die Sonne überhaupt nicht hervor. Dann auf einmal, wenn man es kaum mehr erwartet hat: strahlend blauer Himmel, alle Rundendrehenden in bester Verfassung, Hunde, Kühe, Affen und Vögel fütternd, ein spürbarer Aufschwung an geistiger Leichtigkeit. Nein, nicht nur bei mir, denn hier wirkt das Kollektiv in seiner hoffnungsvollsten Variante, obwohl ich mich in Paul Celans Gedicht gerade so vertraut fühlte als Schattensprecherin und Schattenentblößte. Natürlich sollte es nicht nur der Klimaumschwung sein, der dazu anregt, auch mal wieder Licht zu sprechen, immerhin: ein Hauch von „Ex oriente lux“ ist spürbar, alles so schön und morgenstill. Am Fuß der Bäume kleine Öllämpchen und frische Blumen auf dem Rücken der göttlichen Reittiere, vor allem Shivas Ochse ist sehr beliebt. Diese oft absurden Zusammenstellungen der hohen Herrschaften strahlen eine Wärme aus, eine Aufmerksamkeit, die man da hinten in den privaten Räumen der Häuser nicht finden kann, denn da leuchtet nichts mehr, da wird ferngesehen und ums Überleben gekämpft und um den letzten Rest Würde, der das orientalische Licht noch hervorbringen kann. Ich danke meinem Schicksal, dass ich meine integrierte Fremdheit, die sich aus praktischen Gründen nie mit dem Urgrund des indischen Blutes verbinden konnte, nun wieder an mich nehmen kann. Dafür kann ich aber in diesen seltenen Minuten und Stunden und Ewigkeiten die ganze Exzellenz dieses kosmischen Raumes spüren, eingebettet in eine gerechte Wehmut des Vergänglichen, das aber doch hervortritt in seiner trostspendenden Schönheit, der die Finsternis der Zeit wenig anhaben kann. Mich als Anwesende wieder einmal zuhause zu fühlen, bereichert, beschenkt, überwältigt von dem, was auch da ist. Lange stehe ich am Banianbaum herum, von dem oben links das Bild ist, und betrachte diesen Wirrwarr an Gottheitengetummel. Es hat was vom indischen Geist, für das es einfach keine Worte gibt, für den so viel Unvorstellbares möglich ist. Und ja, es ist auch der Beginn der Heiratssaison, alles überladen mit wuchtigen Farbtönen und ohrenbetäubendem Lärm, der die Nachmittage zudröhnt, sodass man Unterhaltungen unterbrechen und warten muss, bis der eine Zirkus vorbeizieht und bevor der nächste um die Ecke biegt. Zuhause sitzen die Bräute und lassen sich in stundenlangen Sitzungen die Namen ihres unbekannten Zukünftigen in die Henna-Ornamente zeichnen, damit er einen Grund hat, an ihr herumzusuchen. Wahrscheinlich stimmt es, dass da, wo viel Licht ist, der Schatten sich deutlicher zeigt, und immerhin kann seine Wahrnehmung auch Schutz bieten, das kommt darauf an, mit was man es verbindet. Furchtbar ist, wenn die in die Seelen eingebrannten Gewohnheiten, die nahezu unauslöschlichen Prägungen, die einmal von allen gutgeheißen wurden,  nicht mehr gut geheißen werden können, aber weiterhin unerbittlich praktiziert werden. Wenn diese Gewohnheiten keine Alternativen anbieten, keine Varianten, keine den Menschen angemessenen Lösungen, keine Freiräume. Wenn bleichgeschminkte Puppen auf Pappthronen sitzen und dem Unerträglichen lächelnd in die Augen schauen. Ja, es gibt Ausnahmen, aber noch viel zu wenige. Meine Fremdheit ermöglicht es mir, im Wechselbad der Gefühle und Empfindungen nicht unterzugehen, sondern unterstützend zu wirken, da, wo ich Licht sehe im Tunnel, durch den wir gemeinsam reisen.

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